EN Roswitha von Frajer, owner of a shoe shop. Hanover, 2013 DE Roswitha von Frajer, Inhaberin eines Schuhgeschäfts. Hannover, 2013
EN Seyhan Öztürk, self-employed attorney-at-law. Hanover, 2016 DE Seyhan Öztürk, selbstständige Rechtsanwältin. Hannover, 2016
EN Ric Deselaers, owner of a bicycle shop. Hanover, 2016 DE Ric Deselaers, Besitzer*in eines Fahrradladens. Hannover, 2016
EN Heike Pascheit, owner of a steel-processing company. Hanover, 2015 DE Heike Pascheit, Inhaberin eines stahlverarbeitenden Betriebs. Hannover, 2015
EN Mira Jago, owner of a mobile app development company. Hanover, 2025 DE Mira Jago, Inhaberin einer App-Entwicklungsagentur. Hannover, 2025
EN Constanze Böhm, fine artist. Hanover, 2024 DE Constanze Böhm, Bildende Künstlerin. Hannover, 2024
EN Christine Reichert, co-owner of a hair salon. Hanover, 2025 DE Christine Reichert, Mitinhaberin eines Friseurgeschäfts. Hannover, 2025
EN Christel Bechter, owner of a doll clinic and a shop. Hanover, 2025 DE Christel Bechter, Inhaberin einer Puppenwerkstatt. Hannover, 2025
aus Hannover arbeitet als Künstlerin, Fotografin und Dozentin. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und werden im In- und Ausland ausgestellt. Ihr Langzeit-Reenactment-Projekt Aufstand aus der Küche forscht zu Genderidentität und Arbeitstrukturen. Zentral in ihrer künstlerischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Macht.
Für b o s s | working women portraitiert sie Bossinnen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichen Berufen und mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen in Hannover.
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K: Wie und wann hast Du Dich dazu entschieden, b o s s zu werden? Wie kam es dazu und welche Entscheidungen hast Du getroffen? Wie war Dein Werdegang?
C: Ich bin Friseurmeisterin, 35 Jahre alt und seit 17 Jahren im Beruf. Mein Business habe ich seit sieben Jahren. Für mich war immer klar, dass, wenn ich in dem Beruf bleibe, die Selbständigkeit die einzige Option ist, um mich frei zu fühlen. Sonst hätte ich etwas anderes gemacht. Ich wollte mich selbständig machen, bevor ich 30 bin.
Und tatsächlich: Je älter ich wurde, je mehr Fachwissen ich hatte, umso schlechter kam ich damit klar, dass man mir Dinge ansagte, die ich dann durchführen musste, dass ich mich unterordnen musste. Als Angestellte konnte ich fachlich zwar frei agieren, aber es waren ganz einfache Dinge, die mich störten, zum Beispiel, dass ich fragen musste, ob ich früher gehen kann, weil ich so viele Überstunden hatte. Ich wollte meine Arbeitszeiten so planen, wie ich das eben wollte. Außerdem wollte ich mehr Geld verdienen.
Von meinen Eltern wurde meiner Schwester und mir mitgegeben, dass wir auf unserem Lebensweg unabhängig sein sollen vom männlichen Geschlecht und unser Ding durchziehen. In dieser Hinsicht haben unsere Eltern uns sehr unterstützt. Meine Schwester, die vier Jahre älter ist als ich, war mir immer einen Schritt voraus. An ihr habe ich mich orientiert. Sie hat sich als erste von uns zweien selbständig gemacht. Das hat mich gepusht. Wir haben uns gegenseitig gepusht und tun das immer noch.
Dass ich das Friseurhandwerk lernen würde, war mir nicht immer klar. Eigentlich wollte ich Maskenbildnerin werden und bei Film und Fernsehen arbeiten. Damals war die Friseurausbildung Voraussetzung dafür, Maskenbildnerin zu werden. Nach der Ausbildung habe ich ein Praktikum am Theater in Ulm gemacht. Aus dem Friseurhandwerk war ich gewohnt, selbständig zu arbeiten: Meine Kunden zu beraten, mit ihnen ein Ziel zu besprechen und das zu erarbeiten. Niemand pfuschte mir dazwischen. Im Maskenbild musste ich plötzlich umsetzen, was von mir verlangt wurde: Was die Chefmaskenbildnerin ansagte oder was das Kostümbild verlangte. Damit kam ich nicht klar. Mir wurde klar, dass das doch nichts für mich ist.
Im Alter von 21 Jahren habe ich dann direkt meinen Meister gemacht. Meine Eltern haben immer gesagt, dass ich, wenn ich ein Handwerk ausübe, die höchste Ausbildungsstufe erreichen sollte. Das war eben der Meister. Den habe ich gemacht. – Danach hatte ich im Alter von 23 Jahren eine kleine Midlife-Crisis. Ich wusste nicht genau, wohin der Weg führt. Ich hatte alles erreicht – bis auf die Selbständigkeit. Es hat dann noch fünf Jahre gedauert, ich musste mir ja nach und nach einen eigenen Kundenstamm aufbauen. Im Alter von 28 habe konnte ich mein Angestelltendasein an den Nagel hängen.
K: Du hast Dich dann mit einer Kollegin zusammen selbständig gemacht und ihr habt noch immer gemeinsam ein Friseurgeschäft…
C: Genau. Wir sind sehr unterschiedlich, ergänzen uns aber. Wir können uns immer aufeinander verlassen. Ob es gut ist, sich als Team selbständig zu machen, ist typabhängig. Im Team muss man seine eigenen Wünsche etwas zurückstellen, damit man auf demselben Pfad bleibt. Wenn man da Hauruck-mäßig seine Meinung durchbringen möchte, kann es zu Stress kommen. Es hat alles Vor- und Nachteile.
So kann ich in den Urlaub fahren, ohne etwas mit meinem Geschäft zu tun zu haben. Wäre ich alleinige Bossin, müsste ich doch mal E-Mails checken und erreichbar sein. Andererseits hätte ich dafür die die alleinige Entscheidungsmacht.
K: Ist es ein Unterschied, ob sich ein Mann als Friseur oder eine Frau als Friseurin selbständig macht?
C: Wenn ein Mann sich als Friseur selbstständig macht, ist es anerkannter. Frauen müssen für die Selbständigkeit immer noch mehr tun, sie müssen härter arbeiten. Bei manchen männlichen Friseuren ist es eher ein Selbstläufer, weil sie sich besser verkaufen können. Da ist das Handwerk manchmal gar nicht so wichtig. Insofern würde ich behaupten, dass es durchaus einen Unterschied gibt. Wir Frauen überzeugen eher mit unserem Können. Ich selbst bin zwar auch eine mitunter laute, präsente Person und mache gerne mal einen Spaß, aber ich bin keine Schnackerin. Alles, was ich sage, hat ein Hand und Fuß. Die männlichen Kollegen sind tendenziell Showmen. Da kann der Haarschnitt auch schon mal durchschnittlich sein, wird aber verkauft als bester Haarschnitt zwischen Harz und Heide: Und die Kundin ist begeistert. Wir weiblichen Friseurinnen sind überzeugter von uns und müssen unsere Leistung nicht so laut anpreisen. Andererseits zweifeln wir auch mehr an uns, so mein Gefühl. Männer verkaufen sich besser und pushen sich gegenseitig. Wir Frauen stellen uns manchmal kleiner dar, als wir sind. Bei uns Frauen könnte es generell untereinander mehr Unterstützung geben.
Aber ich liebe meinen Job. Das Schöne ist, dass man sofort Feedback bekommt. Ich sehe das, was ich mit meinen Händen kreiere. Viele Kunden kenne ich schon seit Jahren und mir ist es wichtig, ein gutes Verhältnis zu ihnen zu pflegen. Manchmal bekommt man viel erzählt, da muss man sich etwas abgrenzen. Manchmal ist man eine Art Seelenmülleimer – der möchte auch nicht immer sein; Allerdings ist man genau diese neutrale Person für die Kundschaft. Ich finde das auch schön: Bei vielen Menschen und in ihren Familien spiele ich auf eine Art eine Rolle in ihrem Leben. Ich erfahre viel und erlebe manchmal einschneidende Prozesse im Leben oder besondere Lebensphasen der Kunden richtiggehend mit. Manchmal unterstütze ich sie sogar bei einer wichtigen Entscheidung. Meistens ist es ein Austausch auf Augenhöhe. Das erweitert meinen Horizont, ich lerne dazu.
K: Fühlst du Dich als Bossin?
C: Als wir zwei Angestellte hatten, habe ich mich mehr wie eine Bossin gefühlt, jetzt fühlt es sich eher so an, als seien wir zwei Einzelunternehmerinnen. – Wie fühlt man sich als Bossin? Wie sollte man sich fühlen? Ich bin auf alle Fälle stolz, dass ich es seit mittlerweile sieben Jahren so schaffe. Aber ich bilde mir nichts aufs Boss-Sein ein oder gehe mit erhobener Nase durch die Stadt. Ich brauche keine Bestätigung von außen, dass ich die Geschäftsinhaberin von XYZ bin. Manche müssen so etwas ständig kommunizieren. Manchmal mache ich das zugegebenermaßen auch, weil ich mich ja auch freue, dass ich dieses Geschäft habe. … Irgendwie denke ich schon, dass ich Chefin bin… Manche Menschen strahlen das aus und manche nicht und ich denke, ich strahle das aus. Ich würde aber sagen, dass ich in die Rolle reinwachsen musste. Wenn ich mich frage, inwiefern mich die vergangenen sieben Jahre verändert haben, finde ich, dass ich selbstbewusster geworden bin. Ich habe beruflich viel mit Männern zu tun. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich meine Meinung vertreten muss. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht nicht unbedingt belächelt wurde, aber manchmal kamen Außendienstler zu uns ins Geschäft nach dem Motto „Ich bin hier der große Hengst – guckt mich an! – und ich zeige den kleinen Friseurinnen mal, was hier Sache ist.“ Heute lasse ich solches Verhalten nicht mehr so an mich ran, so eine Art von Gehabe lässt mich kalt.
K: Wie viele Tage in der Woche arbeitest Du? Wie arbeitest Du?
C: Mittlerweile arbeite ich an vier Tagen in der Woche. Dafür sind es sehr lange Arbeitstage, sodass ich die fehlenden Stunden aus dem fünften Tag kompensieren kann. So haben meine Co-Chefin und ich zwei Tage – plus den Sonntag – frei. Entweder habe ich Montag und Samstag frei, dann bin ich von Dienstag bis Freitag komplett im Geschäft. In der darauffolgenden Woche habe ich dann am Mittwoch und Donnerstag frei und bin an den restlichen Tagen im Geschäft: Montag, Dienstag, Freitag, Samstag. Mit diesem Modell fahren wir beide sehr gut. Wenn wir da sind, sind wir da. Dann sind wir im Geschäft anwesend und lösen Probleme. Wenn wir nicht da sind, sind wir nicht da. So kann ich mir meine Zeit recht frei einteilen kann. Auf der anderen Seite auch nicht, weil mir die Flexibilität wie beispielsweise im Homeoffice fehlt. Für meine Arbeit muss ich immer präsent im Geschäft sein – das Friseurhandwerk ist schließlich eine körpernahe Dienstleistung.
Ein wichtiges Argument für die Selbständigkeit war für mich, dass ich im Angestelltenverhältnis jeden Samstag arbeiten musste. Nach einem Stadtbummel standen meine Eltern manchmal samstags mit meiner Schwester vor dem Geschäft, in dem ich gearbeitet habe, und warteten darauf, dass ich Schluss habe; Es hat mich so genervt, dass ich auf viele Dinge verzichten musste, weil ich samstags gearbeitet habe. Heute arbeite ich nur noch jeden zweiten Samstag. Ich habe mehr freie Zeit und durch das Boss-Sein verdiene ich mittlerweile auch ein bisschen mehr Geld. So kann ich voll meine Hobbys ausleben: Tanzen ist mein Ausgleich, das mache ich, seit ich sechs bin, ich mache Wanderritte oder wandere in Südtirol. Es hat immer etwas mit Natur oder mit Musik zu tun. Bei den Wanderritten bin ich auf dem Pferd, habe keinen Handyempfang und kann einfach ich selbst sein, ohne Schminke, ohne gestylte Haare. Das ist das Kontrastprogramm zu dem, was ich beruflich mache. Zum Socializing muss ich mich aktuell eher zwingen. Auf der Arbeit bin ich jeden Tag mit so vielen Menschen in Kontakt, dass ich mich privat oft eher zurückziehe. Ich bin sehr empathisch und sensibel und nach einer Arbeitswoche sagt mir mein Nervensystem, dass ich eine Pause brauche. Die sozialen Begegnungen auf der Arbeit nehmen mich sehr in Anspruch. Ich mag es zwar, es kostet aber auch viel Kraft. Ob das Boss-Sein gut vereinbar ist mit Familienplanung? Die Selbstständigkeit hemmt mich gedanklich tatsächlich, auch weil ich eine One-Woman-Show bin. Wenn man einen Partner hat, muss es der richtige sein, er muss auch Lust auf Familie haben – ich könnte keine zwei Jahre zu Hause bleiben. Er müsste für meine Arbeitszeiten und das Drumherum Verständnis haben. – Da fehlt auch die Unterstützung von Seiten der Politik. Auf eine Familiengründung oder aufs Kinderkriegen muss man sich ja finanziell vorbereiten. Meine Nichten sind mein ein und alles, ohnehin ist meine Schwester meine person number one in meinem Leben. Sie steht mit Rat und Tat an meiner Seite und wir sind allein aufgrund der Selbständigkeit in regem Austausch. Dass sie zwei Mädchen bekommen hat, freut mich sehr. In dieser Hinsicht ist mein Kinder-Akku gefüllt. Ich selber brauche keine Kinder, um ein glücklicherer und zufriedenerer Mensch zu sein. Das wäre sowieso der falsche Beweggrund.
K: Und generell: schaffen Frauen mehr weg als Männer?
C: Ich habe generell das Gefühl, dass die Entwicklung für Frauen gerade wieder rückläufig ist: Dass Frauen wieder mehr zu Hause bleiben und der Mann Vollzeit arbeiten geht. Bei meiner Schwester, die selbstständig ist und eine eigene Praxis hat, ist es so, dass sie von Anfang an gesagt hat, dass, wenn sie Kinder bekommen, sie sich das gleichberechtigt in der Partnerschaft, also 50-50, teilen. Das ist selten. Allgemein ist die gesellschaftliche Entwicklung für Frauen wieder rückläufig. Wir sehen es als selbstverständlich an, dass wir entscheiden können, was wir machen, ob wir arbeiten, ob wir in die Selbstständigkeit gehen dürfen. Dafür sind die Generationen vor uns auf die Straße gegangen. Das hat mir meine Mutter eingebläut, dass das nicht selbstverständlich ist, das war ihr immer ein großes Anliegen. Meine Oma musste ihren Mann noch fragen, ob sie arbeiten gehen darf. Wenn ich Männer kennenlerne, sage ich immer ehrlich und direkt meine Meinung – es gefällt vielen nicht, dass ich mir nicht auf der Nase rumtanzen lasse. Ich brauche zwar schon einen starken Partner an meiner Seite, der mir auch Paroli bieten kann, an den ich mich auch anlehnen kann, bei dem ich mich fallen lassen kann, aber es soll ja auf Augenhöhe passieren. Ich glaube, ich bin vielen einfach zu stark. Viele Männer brauchen eine Frau, die zu ihnen hochschaut; Vielleicht macht es ihnen auch Angst oder sie sind neidisch darauf, dass ich ein eigenes Business habe.
K: Was ist dein Beruf, was für eine Bossin bist du heute und wie kam es dazu, dass du da bist, wo du bist? Wie ist dein Werdegang?
M: Ich komme aus einer Unternehmerfamilie und habe mich entschieden, das Gegenteil dessen zu tun, was meine Familie getan hat. Also habe ich Philosophie studiert und bin in Berlin gelandet. Ich habe jobtechnisch viele verschiedene Sachen ausprobiert und bin in die Startup-Szene gerutscht.
Dort habe ich zum allerersten Mal, mit 30, gemerkt, dass Wirtschaft gar nicht so unspannend ist. Dass es auch eine andere Art von Wirtschaft gibt: Bei der man etwas tut, um die Welt zu verbessern und schöne Produkte schafft, und nicht nur Geld verdient, um den schnellen Exit zu machen oder sich seine Yacht in Saint-Tropez zu kaufen. Und diese Art der Wirtschaft hat mir gefallen, vor allen Dingen, weil sie sehr viel durchmischter war. Da haben sehr viel mehr Frauen mitgemacht, alles war lockerer. Man trägt Turnschuhe anstatt Anzüge, trinkt Mate-Tee und hat Tischtennisplatten im Büro – das hat mich alles sehr angezogen. Daraufhin habe ich mich entschieden, dass ich doch gerne in die Wirtschaft will, um da mitzuspielen. Ich wollte gründen, eine wichtige Position innehaben, zumindest in irgendeinem Startup. Ich habe mich gefragt, wie ich denn da hinkommen kann und mir angeguckt, wer denn die wichtigen Positionen hat, wer die Leute sind, die die Produkte formen, die dabei ein bisschen Geld verdienen und die die Entscheidungen treffen? Das waren die Investoren, die Gründer und die Programmierer, die die Produkte geschaffen haben. Die Produkte selbst waren meist technische Produkte, die hochskalierbar waren. Dort sah es dann plötzlich überhaupt nicht mehr divers aus: Es waren alles Männer, die das gemacht haben, fast 99 Prozent. Es gab auch ein paar weibliche Gründerinnen, aber die haben dann Strumpfhosen- oder Blumenverschick-Startups oder ähnliches gegründet.
Die Frauen haben eher drumherum gearbeitet: Als Office Manager, Grafikdesigner, Social Media Manager. Alles Jobs, die auch in der Startup-Szene in der Regel sehr prekär bezahlt werden. Das heißt, die Leute, die da Geld verdienen, sind dann doch wiederum fast nur Männer. Das hat mich wirklich gestört: Ich hatte ja gedacht, diese neue Art der Wirtschaft gefunden zu haben und dachte, boah, geil, das ist viel diverser und ganz anders als die Wirtschaft, die ich von meiner Family her kenne, die traditionelle Wirtschaft.
K: Was heißt Startup?
M: Ein Startup ist eine Firma, die ein innovatives Produkt hat und noch nicht besonders alt ist. Also ich zum Beispiel habe kein Startup, meine Firma ist eine Agentur. Das heißt, wir haben ein relativ normales Geschäftsmodell – wir arbeiten zwar an sehr innovativen Sachen, aber unser Geschäftsmodell ist: Wir entwickeln Software gegen Geld. Dieses Geschäftsmodell gibt’s ja schon lange.
Wenn ich aber ein bestimmtes Produkt habe, mir z.B. eine neue Software ausdenke und die dann verkaufe, ist das ein innovatives Produkt und dann gelte ich als Startup. Und dann sind Leute daran interessiert zu investieren, weil sie ihr Investment eventuell verzehnfachen, wenn es was wird.
K: Wie hast du die Startup-Szene kennengelernt?
M: Ich habe damals als Event- und Community-Managerin einen Coworking-Space gemanagt, in dem ganz viele Startups ansässig waren, die ich miteinander vernetzt habe. Wenn ein Startup einen Programmierer gesucht hat, habe ich den Programmierer im zweiten Stock angesprochen und gefragt, ob er dann nicht mal unterstützen kann. Wenn mir ein Investor erzählt hat, er möchte in die Immobilienbranche investieren, habe ich ihn mit einem Startup aus der Branche vernetzt.
Ich kannte Leute und habe dafür gesorgt, dass die sich untereinander kennenlernen. Aus dieser Zeit habe ich noch etliche Freunde. Es war sehr schön, ich war eine Art Netzwerk-Knotenpunkt. Trotzdem habe ich in der Position nicht gut verdient, im Gegenteil: Ich wurde bezahlt wie jemand, der in einer Gastro arbeitet. Genau das war mein Background: Ich habe mein Philosophiestudium abgeschlossen und im Anschluss nebenbei ein bisschen Gastro gemacht. Ich hatte ja überhaupt noch keine Arbeitserfahrung. – Aber dann habe ich mir etwas überlegt: Das, was mir fehlt, was mich von den Leuten trennt, die in der Startup-Szene das Geld verdienen, ist Tech-Wissen. Und genau das ist der Grund, warum es dort so wenige Frauen gibt: Weil wir so wenige Frauen mit Tech-Wissen haben, die dann auch noch unternehmerischen Geist on top haben.
Ich habe mich entschieden, dass ich mir das aneignen möchte und angefangen, es mir selber beizubringen. Während ich noch meinen Job als Coworking-Managerin ausgeübt habe, habe ich angefangen, abends Videokurse zu machen und damit begonnen, selber zu programmieren. Ich habe erste Erfahrungen gesammelt, indem ich Webseiten für befreundete Künstler, DJs etc. eingerichtet habe.
Und dann bin ich tatsächlich ins Unternehmen meines Vaters gegangen, weil ich dort die Chance hatte, direkt anzufangen als Programmiererin, ohne irgendein Zertifikat. Dafür bin ich nach Hannover zurückgekommen und bin wieder bei meinen Eltern eingezogen, mit 31. Es hat sich wie der Tiefpunkt meines Lebens angefühlt, aber es war die Startrampe für alles, was danach passiert ist. Das hatte ich auch gehofft, aber es hat sich lange Zeit nicht so angefühlt. Ich bin wieder in das Haus gezogen, in dem ich aufgewachsen bin. Ich hatte keine Freunde mehr vor Ort. In Berlin hatte ich im Prenzlauer Berg gewohnt. Ich war auf jede Party eingeladen, hatte ein super Netzwerk. Hier kannte ich wirklich niemanden mehr. Auf der Arbeit wurde ich null ernst genommen. Ich war die einzige Frau in einer 60-Mann-Entwicklungsabteilung…
Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich das erste Mal mit zum Lunch durfte. Niemand hat geglaubt, dass ich irgendetwas kann, hat verstanden, wer ich bin und was ich will – ich hatte Philosophie in Berlin studiert! Und eine Frau, die programmiert, hatten meine Kollegen noch nie gesehen. Es war für sie alles etwas schwierig zu verstehen. – Trotzdem war es eine privilegierte Situation – ansonsten hätte ich wieder unbezahlte Praktika machen müssen. Ich hatte zero Geld zurückgelegt. Und so war es eine Chance. Nebenbei – abends und an den Wochenenden – habe ich ein Zertifikat in Software-Engineering an einer Fernuni gemacht. – Vor Ort hatte ich ohnehin keine Kontakte. Ich habe nur gearbeitet und gelernt. Mit 33 habe ich dann gegründet, 2017. Drei Jahre nach meiner Entscheidung, dass ich in die Technik gehen und gründen will. Ich habe als Einzelkämpferin angefangen, Apps zu entwickeln. Ich hab meine Firma remote aufgebaut, mit Mitarbeitenden aus verschiedenen Ländern – und bin selbst auch viel gereist. Eine Woche nach Gründung meiner Firma bin ich nach Vietnam gezogen und habe ein halbes Jahr in Ho Chi Minh City gelebt. Das war auch mein Plan: Ich wollte gerne auswandern und nutzen, dass ich in einem schönen Klima günstiger leben kann, mit leckerem Essen, und deutsche Kunden bedienen. Aber: Ich hatte kurz zuvor meinen Mann kennengelernt, der mich dort dann besucht hat. Den habe ich dann so vermisst. Er hatte keinen Bock auf Fernbeziehung. Für ihn bin ich wieder nach Hannover zurückgekommen. Seitdem bin ich hier.
K: Du hast noch in weiteren Ländern gelebt, sprichst mehrere Sprachen, bist also total weltoffen und das ist ja wahrscheinlich auch sehr wichtig in Deinem Beruf.
M: In meinen Zwanzigern hatte ich auch nicht viel zu tun, außer zu studieren, zu reisen und Sprachen zu lernen. Das war superschön. Ich habe mein Studium genossen, muss ich sagen. Ich habe immer so viel Kohle verdient, dass ich gerade genug hatte, um rumzukommen. Aber ich habe weder gespart noch an meine Zukunft gedacht. Erst mit 30 habe ich mich gefragt, wie ich mal bequem Geld verdienen und einen Unterschied in der Welt machen kann. Wie kann ich eigentlich über diesen Abgrund rüberkommen? Wie das noch hinbekommen, nachdem ich die zehn Jahre zuvor auf die schönste Art und Weise verlebt hatte.
K: Du entwickelst Software für eigene Apps. Aber du schreibst auch für Firmen, programmierst deren Webseiten, entwickelst Apps für sie, als Dienstleistung?
M: Genau, hauptsächlich bin ich Dienstleisterin und entwickle mobile Apss für andere Firmen. Aber ich habe schon lange darüber nachgedacht, auch ein eigenes Produkt auf den Markt zu bringen. In dem Moment, wo Du das hast, kannst du aufhören, deine Arbeitszeit gegen Geld zu tauschen. Du musst nur einmal etwas bauen, was skalierbar ist, und kannst es dann so oft verkaufen, wie du möchtest. Bei einem Schuhgeschäft wäre es der Unterschied zwischen: Du reparierst Schuhe oder du verkaufst einen Schuh, den Du designt hast, mehrmals. Das Schöne bei Software ist, dass Du sie nicht mehrmals herstellen musst, sondern nur einmal herstellst und sie dann so oft verkaufen kannst, wie du willst. So ein Produkt haben wir jetzt in den letzten anderthalb Jahren entwickelt. Es ist eine App für Städte. Eine Stadt kann die App für einen bestimmten Preis einmal kaufen und bezahlt danach monatlich dafür, dass sie diese App weiter nutzt. Mit der App kann die Stadt an ihre Bürger Informationen geben, Umfragen schalten, einen Mängelmelder integrieren. Es hat anderthalb Jahre gedauert, sie zu entwickeln, die Designs zu machen etc. Seit August läuft sie probeweise in einer Stadt und hat jeden Tag rund 1000 Nutzer, mit denen wir reden, um die App zu verbessern. Diese Phase kostet Geld. Normalerweise suchst du dir Investoren auf Pitch-Veranstaltungen, die dir das Geld für die Entwicklung geben. Das ist nicht einfach und ich wollte nicht wieder von jemandem abhängig sein, nachdem ich mich gerade selbstständig gemacht hatte. - Deswegen habe ich meine Agentur gegründet und nebenbei überlegt, was für eine Produktpalette wir aufbauen können. Die App habe ich selbst finanziert, weil ich davor über Jahre mit der Agentur Geld verdienen und es in die Produktentwicklung stecken konnte.
K: Das leitet gut in die zweite Frage über: Fühlst du dich als Bossin?
M: Immer mal wieder und dann mal wieder nicht. Das ist etwas, was ich mich in letzter Zeit viel gefragt habe, weil wir die Rezession schon stark gefühlt haben und ich immer wieder überlege, was ich mache, wenn das alles nicht mehr klappt? Bewerbe ich mich nochmal irgendwo bei einem Unternehmen? Oder versuche ich auf Teufel-komm-raus, diese Firma am Laufen zu halten? Bin ich von meiner Essenz her Unternehmerin oder ist das einfach nur ein Teil von mir, den ich auch wieder abstellen könnte? Ich finde das schwierig zu beantworten, ich weiß das gar nicht. Aber ich weiß, dass ich meine Freiheit sehr liebe und es unglaublich schwer fände, sie aufzugeben. Und ich glaube, ich mache das, was ich mache, die meiste Zeit eigentlich ganz gut.
K: Das heißt aber, dass das eine Frage ist, die zumindest ab und zu aufploppt: Bin ich das eigentlich?
M: Ich finde das Wort Bossin schwierig, weil es für mich etwas mit Hierarchie zu tun hat. Es würde mir schwerfallen, anderen Leuten zu sagen, was sie machen sollen. Ich suche mir für meine Firma eher Leute aus, die eigenständig arbeiten und ähnliche Prinzipien haben wie ich. Ich leite sie an, um unsere Arbeitskräfte effektiv zu bündeln.
Ich würde eher sagen, dass ich Unternehmerin bin. At heart. Unternehmerin zu sein heißt, dass man bereit ist, ein Risiko einzugehen, ein kalkuliertes, kein dummes, um dann später Gewinn zu haben. Ich lebe mein ganzes Leben als Unternehmerin: Egal, ob ich mich entscheide, eine Wohnung zu kaufen, anstatt sie zu mieten, zu überlegen, wie ich den Gewinn maximiere und wie ich für meine und für die Zukunft meiner Familie sorge. Ich glaube, das ist schon tief in mir angelegt. In jedem Menschen eigentlich. Man muss es nur aufwecken. Ich glaube, dass jeder Freelancer, Selbständige oder Künstler diese Verantwortung kennt. Aber viele bleiben in dem Glauben haften: „Ich muss nur gut genug werden in dem, was ich tue und es schaffen, mich zu verkaufen“. Sie kommen selten an den Punkt, an dem sie überlegen, fürs Alter vorzusorgen oder zu investieren. Ich kenne sehr viele – vor allem Frauen Mitte 40 – die wenig vorgesorgt haben und alles etwas prekär angehen. Das finde ich schwierig und auch traurig, weil es oft supercoole Frauen sind. Aber wenn du Yoga-Lehrerin bist, ist es schwer, genug Kohle zu verdienen, dass du auch mal was zurücklegen kannst. Viele begeben sich dann in die finanzielle Abhängigkeit beispielsweise von einem Partner, von der ich es schön fände, wenn Frauen das nicht tun würden. Ich glaube, dass dieses Nicht-Bedenken der Situation im Alter keiner Naivität geschuldet ist, sondern dem Umstand, dass man einfach nicht dahinterkommt, dass dieses Zeit-gegen-Geld-tauschen wenig profitabel ist. Als Freelancer ist es superschwierig, genug Geld zu verdienen. Vielleicht geht es in der IT-Branche. Ansonsten bleibt es schwierig.
K: Welche Eigenschaften braucht es, um in deinem Bereich Bossin zu sein. Würdest du sagen, dass du dich in deinem beruflichen Bereich mehr anstrengen musstest als deine männlichen counterparts und gibt es ein gender bias in deinem Berufsfeld?
M: Es ist komplizierter mit dieser women-in-tech-Geschichte. Wenn du als Frau in einem Tech-Beruf präsent auf Bühnen bist etc. wie ich, dann hast du zunächst einen positiven Gender-Bias, weil du häufig die einzige Frau im Raum oder auf der Bühne bist. Du wirst für Konferenzen angefragt, Kunden und Network-Leute erinnern sich an dich. Auf Konferenzen gab es das oft: Um mich herum nur Männer in so typischen Entwickler-Outfits, und dann ist da eine Frau in einem helllila Blazer mit platinblonden Haaren. Ich war bekannt wie ein bunter Hund. Das hat mir auf jeden Fall geholfen.
Nach dem Abi hätte ich mir nicht zugetraut, Informatik zu studieren. Aber nachdem ich ein Philosophie-Studium abgeschlossen hatte und noch ein paar andere Sachen hinbekommen habe, war ich mir sicher, dass ich Tech kann, wenn ich es nur will. An den Punkt kommen ganz viele Frauen nicht – die meisten denken nicht über Tech nach. Eine Sache, die dagegen helfen kann, ist, mehr IT-Unterricht in der Schule anzubieten, sodass junge Frauen positive Erlebnisse damit haben und sagen können, okay, ich kann das, vielleicht könnte ich später auch Informatik studieren.
Männer tendieren häufig dazu, nicht immer natürlich, sich zu überschätzen und denken, sie sind ein Übergenie, nur weil sie irgendwie mal ein Spiel gehackt haben.
Es ist schwer über das Thema zu sprechen, ohne irgendwelche gender biases zu replizieren. Ich denke auch, dass nichts davon inhärent ist in irgendeinem Mann oder einer Frau, sondern das ist das, wie wir aufgewachsen sind.
K: Das wollte ich fragen.
M: Frauen trauen sich weder Unternehmertum noch Tech-Jobs nach der Schule zu, ganz häufig. Du müsstest sie entweder während der Schulzeit entsprechend bestärken, ihnen role models vorsetzen, oder du müsstest ihnen später Möglichkeiten zum Quereinstieg in diese Branche geben, um mehr Frauen in die Branche zu holen. Wir sind in Deutschland Schlusslicht. Es ist in anderen Ländern ganz anders. Das heißt, es hat was damit zu tun, wie Gesellschaft über Frauen und über diese Berufe denkt, was eine Gesellschaft vielleicht auch dafür tut, dass eine gender equity entsteht. Wenn du als Frau erstmal in dieser Branche bist, dann trauen dir die Leute auch was zu.
Aber diese Branche ist nicht auf Frauen eingestellt ist und das auch nicht, weil sie fast ausschließlich von Männern geformt wird. Das heißt, dass die paar Frauen, die es in der Tech-Branche gibt, sie oft spätestens dann verlassen, nachdem sie Kinder gekriegt haben. Weil die Tech-Branche sich nicht entsprechend auf sie einlässt.
K: Das heißt, es müssten mehr Frauen in die Tech-Branche, damit die Branche dann auf diese Lebensläufe reagiert?
M: Genau. Und das wäre auch supergut für die Produkte, die dabei entstehen, weil die bisher von Männern für Männer geschaffen sind.
Im Moment ist ja Thema, wie KI häufig Geschlechterverhältnisse repliziert, wenn du dir zum Beispiel von ChatGPT ein Bild machen lässt von einer Frau in irgendeinem Beruf. Du bekommst immer ein Bild von einer Frau, die „heiß“ aussieht. Das sind so Dinge, wo du halt merkst, okay, die Daten, auf die das trainiert ist, da wurde das nicht mitbedacht, dass diese Sexualisierung vielleicht gar nicht nötig ist.
Ich habe versucht, ein Foto zu erstellen, auf dem eine ältere Frau eine jüngere Frau durch den Dschungel führt. Das sollte eine Metapher für einen LinkedIn-Post sein, den ich machen wollte. Ich habe es eine halbe Stunde lang nicht hinbekommen. Die Jüngere hat immer die Ältere geführt. Das Beste, was ich hinbekommen habe, war, dass beide Rücken an Rücken standen. Als ich es mit einem Mann versucht habe, hat es funktioniert.
K: Wofür hast Du das Bild gebraucht?
M: Ich habe darüber geredet, wie wichtig es ist, einen älteren Mentor zu haben, um durch den Dschungel des Business-Lebens zu kommen. Ich wollte eine Frauen nehmen, why not? Ich rede schließlich über Frauen.
Aber es war nicht möglich, dieses Bild zu generieren, weil die KI ältere Frauen nicht mit Führung, Leadership oder survival skills verbindet. Wenn du an Crocodile Dundee denkst, denkst du offenbar immer an einen Mann. Das sind Kleinigkeiten, an denen man merkt, dass die Firma, die KI entwickelt, Frauen nicht mitdenkt. Das ist typisch für Tech-Produkte. Als zum Beispiel 2007 Apple Health rauskam, war es die Innovation: Plötzlich konntest du mit deinem Handy deine Gesundheit tracken und alles messen, wofür Du keinen Bluttest brauchst. Das Einzige, was du in Apple Health nicht messen konntest, war deine Periode. Was so ziemlich das Wichtigste für mehr als die Hälfte der Menschheit ist; Auch für Männer ist es ja relevant, ob und wann ihre Frau oder Freundin ihre Periode bekommt. - Es musste erst eine Frau eine App entwickeln, die die Periode trackt, unglaublich viele User kriegen und viel Geld damit verdienen, bevor Apple Health gesagt hat: Oh, das ist ja auch ein Markt. – Diese Kleinigkeiten formen unser digitales Leben. Und unser Leben wird immer digitaler und diese digitale Welt wird von Männern gemacht. Das muss sich ändern.
Von dem Geld, das in den letzten Jahren in Europa in Startups investiert wurde, ist nur ein einziges Prozent an weibliche Teams gegangen, zwölf Prozent an gemischte Teams und der Rest an komplett männliche Teams: 87 Prozent.
K: Warum?
M: In der Regel hängt das eng damit zusammen, dass wir nicht genug Frauen in Tech haben. Die meisten Investoren, die in Startups investieren wollen, investieren immer eher in das eigene Geschlecht. Und die meisten Investoren sind Männer.
Das, finde ich, müssen wir durchbrechen. Das können wir nicht allein durch Regeln im System, sondern einzelne Frauen müssen sich trauen, in diesen Bereich vorzugehen. Gleichzeitig muss man auch systemisch versuchen, das aufzubrechen.
K: Das ist jetzt eine sehr generelle Frage: Würdest du sagen, dass Frauen mehr wegschaffen als Männer? Dass Frauen härter arbeiten müssen als Männer?
M: Ich glaube, sie arbeiten härter als Männer. Und ich glaube auch, dass Männer es häufig hinbekommen, mit wenig Arbeit mehr Impact zu haben als Frauen. Indem sie manchmal Verantwortung einfach von sich weisen oder Dinge ignorieren, die wir nicht ignorieren. Wir lernen Höflichkeit und Verantwortungsbewusstsein, wir lernen von Anfang an, uns um andere zu kümmern. Das ist alles sehr plakativ, was ich jetzt sage, und es gilt nicht für jeden. Aber einer Frau fällt es schwerer, zum Beispiel eine E-Mail nicht zu beantworten als einem Mann. Ich übe das gerade in den letzten Monaten. Ich kriege unglaublich viele Anfragen für Vorträge, häufig unbezahlt, für irgendwelche women in power Events. Ich habe beschlossen, nur noch fünf unbezahlte Events im Jahr zu machen. Dieses Jahr habe ich angefangen, solche Anfragen einfach auch mal nicht zu beantworten. Dann werde ich oft zwei Wochen später nochmal angeschrieben: Du hast gar nicht auf unsere Mail geantwortet, wir würden dich so gerne als Sprecherin haben. Dann dachte ich wieder, okay, jetzt muss ich mir Zeit nehmen und erklären, warum ich das nicht möchte. – Ich glaube, viele Männer hätten die E-Mail einfach gelöscht und weitergeklickt. Als Frau fühlt man sich verantwortlich für diese Dinge, will höflich sein und sich erklären. Wenn man unhöflich ist, indem man etwas ablehnt, will man sagen, warum man das tut. Männer sagen eher: I don't give a fuck. Deswegen können sie sich auf die wirklich relevanten Sachen konzentrieren wie zum Beispiel sales erhöhen.
Das wiederum ist etwas, was Frauen total schwerfällt, weil sie ja niemanden auf den Geist gehen und cold calls machen wollen oder so. Und deswegen sehe ich sehr häufig, dass Männer effektiver arbeiten. Nicht, weil sie schlauer sind oder besser arbeiten, sondern weil sie weniger verantwortungsvoll arbeiten und sich weniger kümmern und deswegen auch kein Problem haben, irgendwen zu nerven, wenn sie etwas brauchen.
K: Müssten Männer dann umgekehrt mehr Verantwortung übernehmen lernen? Zum Beispiel als Kinder auch mit Puppen spielen, damit sie später, falls sie in einer Partnerschaft ein Kind haben, wie selbstverständlich die Sorgearbeit übernehmen?
M: Ja klar, das ist natürlich eine weitere Sache, dass Frauen zusätzlich zu ihrem Unternehmen die Care Arbeit übernehmen, wenn nicht für die Kinder, dann für ihre Eltern. Männliche Unternehmer tun das meistens nicht, das heißt, dass eher die weiblichen Unternehmerinnen die Doppelbelastung haben. Deswegen: Frauen arbeiten in der Tat mehr, nur schaffen damit nicht unbedingt mehr Wert für ihr Unternehmen. Und ich glaube, unsere Wirtschaft wäre eine bessere, wenn die Männer empathischer werden, höflicher, sich mehr bemühen, loyaler zu sein etc. All diese Dinge, die sonst eher Frauen zugeschrieben werden. Gleichzeitig müssen Frauen, glaube ich, auch lernen, ein bisschen weniger fucks zu give-en.
K: Kriegt ihr das hin, du und dein Partner: ihr habt auch Familie, also ein Kind, kriegt ihr das hin, dass es bei euch gerechter aufgeteilt ist?
M: Ich würde sagen, bei uns war es ungerecht, weil mein Mann das meiste übernommen hat. Aber wir haben gesagt, dass falls wir uns noch zum Kind entscheiden sollen, da sind wir uns gerade noch nicht sicher, dann wäre ich dran. Also dann wäre es gerechter.
EN Roswitha von Frajer, owner of a shoe shop.
Hanover, 2013 DE Roswitha von Frajer, Inhaberin eines Schuhgeschäfts. Hannover, 2013
EN Seyhan Öztürk, self-employed attorney-at-law. Hanover, 2016 DE Seyhan Öztürk, selbstständige Rechtsanwältin. Hannover, 2016
EN Ric Deselaers, owner of a bicycle shop. Hanover, 2016 DE Ric Deselaers, Besitzer*in eines Fahrradladens. Hannover, 2016
EN Heike Pascheit, owner of a steel-processing company. Hanover, 2015 DE Heike Pascheit, Inhaberin eines stahlverarbeitenden Betriebs. Hannover, 2015
EN Mira Jago, owner of a mobile app development company. Hanover, 2025 DE Mira Jago, Inhaberin einer App-Entwicklungsagentur. Hannover, 2025
EN Constanze Böhm, fine artist. Hanover, 2024 DE Constanze Böhm, Bildende Künstlerin. Hannover, 2024
EN Christine Reichert, co-owner of a hair salon.
Hanover, 2025 DE Christine Reichert, Mitinhaberin eines Friseurgeschäfts. Hannover, 2025
EN Christel Bechter, owner of a doll clinic and a shop. Hanover, 2025 DE Christel Bechter, Inhaberin einer Puppenwerkstatt. Hannover, 2025
aus Hannover arbeitet als Künstlerin, Fotografin und Dozentin. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und werden im In- und Ausland ausgestellt. Ihr Langzeit-Reenactment-Projekt Aufstand aus der Küche forscht zu Genderidentität und Arbeitstrukturen. Zentral in ihrer künstlerischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Macht.
Für b o s s | working women portraitiert sie Bossinnen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichen Berufen und mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen in Hannover.
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K: Wie und wann hast Du Dich dazu entschieden, b o s s zu werden? Wie kam es dazu und welche Entscheidungen hast Du getroffen? Wie war Dein Werdegang?
C: Ich bin Friseurmeisterin, 35 Jahre alt und seit 17 Jahren im Beruf. Mein Business habe ich seit sieben Jahren. Für mich war immer klar, dass, wenn ich in dem Beruf bleibe, die Selbständigkeit die einzige Option ist, um mich frei zu fühlen. Sonst hätte ich etwas anderes gemacht. Ich wollte mich selbständig machen, bevor ich 30 bin.
Und tatsächlich: Je älter ich wurde, je mehr Fachwissen ich hatte, umso schlechter kam ich damit klar, dass man mir Dinge ansagte, die ich dann durchführen musste, dass ich mich unterordnen musste. Als Angestellte konnte ich fachlich zwar frei agieren, aber es waren ganz einfache Dinge, die mich störten, zum Beispiel, dass ich fragen musste, ob ich früher gehen kann, weil ich so viele Überstunden hatte. Ich wollte meine Arbeitszeiten so planen, wie ich das eben wollte. Außerdem wollte ich mehr Geld verdienen.
Von meinen Eltern wurde meiner Schwester und mir mitgegeben, dass wir auf unserem Lebensweg unabhängig sein sollen vom männlichen Geschlecht und unser Ding durchziehen. In dieser Hinsicht haben unsere Eltern uns sehr unterstützt. Meine Schwester, die vier Jahre älter ist als ich, war mir immer einen Schritt voraus. An ihr habe ich mich orientiert. Sie hat sich als erste von uns zweien selbständig gemacht. Das hat mich gepusht. Wir haben uns gegenseitig gepusht und tun das immer noch.
Dass ich das Friseurhandwerk lernen würde, war mir nicht immer klar. Eigentlich wollte ich Maskenbildnerin werden und bei Film und Fernsehen arbeiten. Damals war die Friseurausbildung Voraussetzung dafür, Maskenbildnerin zu werden. Nach der Ausbildung habe ich ein Praktikum am Theater in Ulm gemacht. Aus dem Friseurhandwerk war ich gewohnt, selbständig zu arbeiten: Meine Kunden zu beraten, mit ihnen ein Ziel zu besprechen und das zu erarbeiten. Niemand pfuschte mir dazwischen. Im Maskenbild musste ich plötzlich umsetzen, was von mir verlangt wurde: Was die Chefmaskenbildnerin ansagte oder was das Kostümbild verlangte. Damit kam ich nicht klar. Mir wurde klar, dass das doch nichts für mich ist.
Im Alter von 21 Jahren habe ich dann direkt meinen Meister gemacht. Meine Eltern haben immer gesagt, dass ich, wenn ich ein Handwerk ausübe, die höchste Ausbildungsstufe erreichen sollte. Das war eben der Meister. Den habe ich gemacht. – Danach hatte ich im Alter von 23 Jahren eine kleine Midlife-Crisis. Ich wusste nicht genau, wohin der Weg führt. Ich hatte alles erreicht – bis auf die Selbständigkeit. Es hat dann noch fünf Jahre gedauert, ich musste mir ja nach und nach einen eigenen Kundenstamm aufbauen. Im Alter von 28 habe konnte ich mein Angestelltendasein an den Nagel hängen.
K: Du hast Dich dann mit einer Kollegin zusammen selbständig gemacht und ihr habt noch immer gemeinsam ein Friseurgeschäft…
C: Genau. Wir sind sehr unterschiedlich, ergänzen uns aber. Wir können uns immer aufeinander verlassen. Ob es gut ist, sich als Team selbständig zu machen, ist typabhängig. Im Team muss man seine eigenen Wünsche etwas zurückstellen, damit man auf demselben Pfad bleibt. Wenn man da Hauruck-mäßig seine Meinung durchbringen möchte, kann es zu Stress kommen. Es hat alles Vor- und Nachteile.
So kann ich in den Urlaub fahren, ohne etwas mit meinem Geschäft zu tun zu haben. Wäre ich alleinige Bossin, müsste ich doch mal E-Mails checken und erreichbar sein. Andererseits hätte ich dafür die die alleinige Entscheidungsmacht.
K: Ist es ein Unterschied, ob sich ein Mann als Friseur oder eine Frau als Friseurin selbständig macht?
C: Wenn ein Mann sich als Friseur selbstständig macht, ist es anerkannter. Frauen müssen für die Selbständigkeit immer noch mehr tun, sie müssen härter arbeiten. Bei manchen männlichen Friseuren ist es eher ein Selbstläufer, weil sie sich besser verkaufen können. Da ist das Handwerk manchmal gar nicht so wichtig. Insofern würde ich behaupten, dass es durchaus einen Unterschied gibt. Wir Frauen überzeugen eher mit unserem Können. Ich selbst bin zwar auch eine mitunter laute, präsente Person und mache gerne mal einen Spaß, aber ich bin keine Schnackerin. Alles, was ich sage, hat ein Hand und Fuß. Die männlichen Kollegen sind tendenziell Showmen. Da kann der Haarschnitt auch schon mal durchschnittlich sein, wird aber verkauft als bester Haarschnitt zwischen Harz und Heide: Und die Kundin ist begeistert. Wir weiblichen Friseurinnen sind überzeugter von uns und müssen unsere Leistung nicht so laut anpreisen. Andererseits zweifeln wir auch mehr an uns, so mein Gefühl. Männer verkaufen sich besser und pushen sich gegenseitig. Wir Frauen stellen uns manchmal kleiner dar, als wir sind. Bei uns Frauen könnte es generell untereinander mehr Unterstützung geben.
Aber ich liebe meinen Job. Das Schöne ist, dass man sofort Feedback bekommt. Ich sehe das, was ich mit meinen Händen kreiere. Viele Kunden kenne ich schon seit Jahren und mir ist es wichtig, ein gutes Verhältnis zu ihnen zu pflegen. Manchmal bekommt man viel erzählt, da muss man sich etwas abgrenzen. Manchmal ist man eine Art Seelenmülleimer – der möchte auch nicht immer sein; Allerdings ist man genau diese neutrale Person für die Kundschaft. Ich finde das auch schön: Bei vielen Menschen und in ihren Familien spiele ich auf eine Art eine Rolle in ihrem Leben. Ich erfahre viel und erlebe manchmal einschneidende Prozesse im Leben oder besondere Lebensphasen der Kunden richtiggehend mit. Manchmal unterstütze ich sie sogar bei einer wichtigen Entscheidung. Meistens ist es ein Austausch auf Augenhöhe. Das erweitert meinen Horizont, ich lerne dazu.
K: Fühlst du Dich als Bossin?
C: Als wir zwei Angestellte hatten, habe ich mich mehr wie eine Bossin gefühlt, jetzt fühlt es sich eher so an, als seien wir zwei Einzelunternehmerinnen. – Wie fühlt man sich als Bossin? Wie sollte man sich fühlen? Ich bin auf alle Fälle stolz, dass ich es seit mittlerweile sieben Jahren so schaffe. Aber ich bilde mir nichts aufs Boss-Sein ein oder gehe mit erhobener Nase durch die Stadt. Ich brauche keine Bestätigung von außen, dass ich die Geschäftsinhaberin von XYZ bin. Manche müssen so etwas ständig kommunizieren. Manchmal mache ich das zugegebenermaßen auch, weil ich mich ja auch freue, dass ich dieses Geschäft habe. … Irgendwie denke ich schon, dass ich Chefin bin… Manche Menschen strahlen das aus und manche nicht und ich denke, ich strahle das aus. Ich würde aber sagen, dass ich in die Rolle reinwachsen musste. Wenn ich mich frage, inwiefern mich die vergangenen sieben Jahre verändert haben, finde ich, dass ich selbstbewusster geworden bin. Ich habe beruflich viel mit Männern zu tun. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich meine Meinung vertreten muss. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht nicht unbedingt belächelt wurde, aber manchmal kamen Außendienstler zu uns ins Geschäft nach dem Motto „Ich bin hier der große Hengst – guckt mich an! – und ich zeige den kleinen Friseurinnen mal, was hier Sache ist.“ Heute lasse ich solches Verhalten nicht mehr so an mich ran, so eine Art von Gehabe lässt mich kalt.
K: Wie viele Tage in der Woche arbeitest Du? Wie arbeitest Du?
C: Mittlerweile arbeite ich an vier Tagen in der Woche. Dafür sind es sehr lange Arbeitstage, sodass ich die fehlenden Stunden aus dem fünften Tag kompensieren kann. So haben meine Co-Chefin und ich zwei Tage – plus den Sonntag – frei. Entweder habe ich Montag und Samstag frei, dann bin ich von Dienstag bis Freitag komplett im Geschäft. In der darauffolgenden Woche habe ich dann am Mittwoch und Donnerstag frei und bin an den restlichen Tagen im Geschäft: Montag, Dienstag, Freitag, Samstag. Mit diesem Modell fahren wir beide sehr gut. Wenn wir da sind, sind wir da. Dann sind wir im Geschäft anwesend und lösen Probleme. Wenn wir nicht da sind, sind wir nicht da. So kann ich mir meine Zeit recht frei einteilen kann. Auf der anderen Seite auch nicht, weil mir die Flexibilität wie beispielsweise im Homeoffice fehlt. Für meine Arbeit muss ich immer präsent im Geschäft sein – das Friseurhandwerk ist schließlich eine körpernahe Dienstleistung.
Ein wichtiges Argument für die Selbständigkeit war für mich, dass ich im Angestelltenverhältnis jeden Samstag arbeiten musste. Nach einem Stadtbummel standen meine Eltern manchmal samstags mit meiner Schwester vor dem Geschäft, in dem ich gearbeitet habe, und warteten darauf, dass ich Schluss habe; Es hat mich so genervt, dass ich auf viele Dinge verzichten musste, weil ich samstags gearbeitet habe. Heute arbeite ich nur noch jeden zweiten Samstag. Ich habe mehr freie Zeit und durch das Boss-Sein verdiene ich mittlerweile auch ein bisschen mehr Geld. So kann ich voll meine Hobbys ausleben: Tanzen ist mein Ausgleich, das mache ich, seit ich sechs bin, ich mache Wanderritte oder wandere in Südtirol. Es hat immer etwas mit Natur oder mit Musik zu tun. Bei den Wanderritten bin ich auf dem Pferd, habe keinen Handyempfang und kann einfach ich selbst sein, ohne Schminke, ohne gestylte Haare. Das ist das Kontrastprogramm zu dem, was ich beruflich mache. Zum Socializing muss ich mich aktuell eher zwingen. Auf der Arbeit bin ich jeden Tag mit so vielen Menschen in Kontakt, dass ich mich privat oft eher zurückziehe. Ich bin sehr empathisch und sensibel und nach einer Arbeitswoche sagt mir mein Nervensystem, dass ich eine Pause brauche. Die sozialen Begegnungen auf der Arbeit nehmen mich sehr in Anspruch. Ich mag es zwar, es kostet aber auch viel Kraft. Ob das Boss-Sein gut vereinbar ist mit Familienplanung? Die Selbstständigkeit hemmt mich gedanklich tatsächlich, auch weil ich eine One-Woman-Show bin. Wenn man einen Partner hat, muss es der richtige sein, er muss auch Lust auf Familie haben – ich könnte keine zwei Jahre zu Hause bleiben. Er müsste für meine Arbeitszeiten und das Drumherum Verständnis haben. – Da fehlt auch die Unterstützung von Seiten der Politik. Auf eine Familiengründung oder aufs Kinderkriegen muss man sich ja finanziell vorbereiten. Meine Nichten sind mein ein und alles, ohnehin ist meine Schwester meine person number one in meinem Leben. Sie steht mit Rat und Tat an meiner Seite und wir sind allein aufgrund der Selbständigkeit in regem Austausch. Dass sie zwei Mädchen bekommen hat, freut mich sehr. In dieser Hinsicht ist mein Kinder-Akku gefüllt. Ich selber brauche keine Kinder, um ein glücklicherer und zufriedenerer Mensch zu sein. Das wäre sowieso der falsche Beweggrund.
K: Und generell: schaffen Frauen mehr weg als Männer?
C: Ich habe generell das Gefühl, dass die Entwicklung für Frauen gerade wieder rückläufig ist: Dass Frauen wieder mehr zu Hause bleiben und der Mann Vollzeit arbeiten geht. Bei meiner Schwester, die selbstständig ist und eine eigene Praxis hat, ist es so, dass sie von Anfang an gesagt hat, dass, wenn sie Kinder bekommen, sie sich das gleichberechtigt in der Partnerschaft, also 50-50, teilen. Das ist selten. Allgemein ist die gesellschaftliche Entwicklung für Frauen wieder rückläufig. Wir sehen es als selbstverständlich an, dass wir entscheiden können, was wir machen, ob wir arbeiten, ob wir in die Selbstständigkeit gehen dürfen. Dafür sind die Generationen vor uns auf die Straße gegangen. Das hat mir meine Mutter eingebläut, dass das nicht selbstverständlich ist, das war ihr immer ein großes Anliegen. Meine Oma musste ihren Mann noch fragen, ob sie arbeiten gehen darf. Wenn ich Männer kennenlerne, sage ich immer ehrlich und direkt meine Meinung – es gefällt vielen nicht, dass ich mir nicht auf der Nase rumtanzen lasse. Ich brauche zwar schon einen starken Partner an meiner Seite, der mir auch Paroli bieten kann, an den ich mich auch anlehnen kann, bei dem ich mich fallen lassen kann, aber es soll ja auf Augenhöhe passieren. Ich glaube, ich bin vielen einfach zu stark. Viele Männer brauchen eine Frau, die zu ihnen hochschaut; Vielleicht macht es ihnen auch Angst oder sie sind neidisch darauf, dass ich ein eigenes Business habe.
K: Was ist dein Beruf, was für eine Bossin bist du heute und wie kam es dazu, dass du da bist, wo du bist? Wie ist dein Werdegang?
M: Ich komme aus einer Unternehmerfamilie und habe mich entschieden, das Gegenteil dessen zu tun, was meine Familie getan hat. Also habe ich Philosophie studiert und bin in Berlin gelandet. Ich habe jobtechnisch viele verschiedene Sachen ausprobiert und bin in die Startup-Szene gerutscht.
Dort habe ich zum allerersten Mal, mit 30, gemerkt, dass Wirtschaft gar nicht so unspannend ist. Dass es auch eine andere Art von Wirtschaft gibt: Bei der man etwas tut, um die Welt zu verbessern und schöne Produkte schafft, und nicht nur Geld verdient, um den schnellen Exit zu machen oder sich seine Yacht in Saint-Tropez zu kaufen. Und diese Art der Wirtschaft hat mir gefallen, vor allen Dingen, weil sie sehr viel durchmischter war. Da haben sehr viel mehr Frauen mitgemacht, alles war lockerer. Man trägt Turnschuhe anstatt Anzüge, trinkt Mate-Tee und hat Tischtennisplatten im Büro – das hat mich alles sehr angezogen. Daraufhin habe ich mich entschieden, dass ich doch gerne in die Wirtschaft will, um da mitzuspielen. Ich wollte gründen, eine wichtige Position innehaben, zumindest in irgendeinem Startup. Ich habe mich gefragt, wie ich denn da hinkommen kann und mir angeguckt, wer denn die wichtigen Positionen hat, wer die Leute sind, die die Produkte formen, die dabei ein bisschen Geld verdienen und die die Entscheidungen treffen? Das waren die Investoren, die Gründer und die Programmierer, die die Produkte geschaffen haben. Die Produkte selbst waren meist technische Produkte, die hochskalierbar waren. Dort sah es dann plötzlich überhaupt nicht mehr divers aus: Es waren alles Männer, die das gemacht haben, fast 99 Prozent. Es gab auch ein paar weibliche Gründerinnen, aber die haben dann Strumpfhosen- oder Blumenverschick-Startups oder ähnliches gegründet.
Die Frauen haben eher drumherum gearbeitet: Als Office Manager, Grafikdesigner, Social Media Manager. Alles Jobs, die auch in der Startup-Szene in der Regel sehr prekär bezahlt werden. Das heißt, die Leute, die da Geld verdienen, sind dann doch wiederum fast nur Männer. Das hat mich wirklich gestört: Ich hatte ja gedacht, diese neue Art der Wirtschaft gefunden zu haben und dachte, boah, geil, das ist viel diverser und ganz anders als die Wirtschaft, die ich von meiner Family her kenne, die traditionelle Wirtschaft.
K: Was heißt Startup?
M: Ein Startup ist eine Firma, die ein innovatives Produkt hat und noch nicht besonders alt ist. Also ich zum Beispiel habe kein Startup, meine Firma ist eine Agentur. Das heißt, wir haben ein relativ normales Geschäftsmodell – wir arbeiten zwar an sehr innovativen Sachen, aber unser Geschäftsmodell ist: Wir entwickeln Software gegen Geld. Dieses Geschäftsmodell gibt’s ja schon lange.
Wenn ich aber ein bestimmtes Produkt habe, mir z.B. eine neue Software ausdenke und die dann verkaufe, ist das ein innovatives Produkt und dann gelte ich als Startup. Und dann sind Leute daran interessiert zu investieren, weil sie ihr Investment eventuell verzehnfachen, wenn es was wird.
K: Wie hast du die Startup-Szene kennengelernt?
M: Ich habe damals als Event- und Community-Managerin einen Coworking-Space gemanagt, in dem ganz viele Startups ansässig waren, die ich miteinander vernetzt habe. Wenn ein Startup einen Programmierer gesucht hat, habe ich den Programmierer im zweiten Stock angesprochen und gefragt, ob er dann nicht mal unterstützen kann. Wenn mir ein Investor erzählt hat, er möchte in die Immobilienbranche investieren, habe ich ihn mit einem Startup aus der Branche vernetzt.
Ich kannte Leute und habe dafür gesorgt, dass die sich untereinander kennenlernen. Aus dieser Zeit habe ich noch etliche Freunde. Es war sehr schön, ich war eine Art Netzwerk-Knotenpunkt. Trotzdem habe ich in der Position nicht gut verdient, im Gegenteil: Ich wurde bezahlt wie jemand, der in einer Gastro arbeitet. Genau das war mein Background: Ich habe mein Philosophiestudium abgeschlossen und im Anschluss nebenbei ein bisschen Gastro gemacht. Ich hatte ja überhaupt noch keine Arbeitserfahrung. – Aber dann habe ich mir etwas überlegt: Das, was mir fehlt, was mich von den Leuten trennt, die in der Startup-Szene das Geld verdienen, ist Tech-Wissen. Und genau das ist der Grund, warum es dort so wenige Frauen gibt: Weil wir so wenige Frauen mit Tech-Wissen haben, die dann auch noch unternehmerischen Geist on top haben.
Ich habe mich entschieden, dass ich mir das aneignen möchte und angefangen, es mir selber beizubringen. Während ich noch meinen Job als Coworking-Managerin ausgeübt habe, habe ich angefangen, abends Videokurse zu machen und damit begonnen, selber zu programmieren. Ich habe erste Erfahrungen gesammelt, indem ich Webseiten für befreundete Künstler, DJs etc. eingerichtet habe.
Und dann bin ich tatsächlich ins Unternehmen meines Vaters gegangen, weil ich dort die Chance hatte, direkt anzufangen als Programmiererin, ohne irgendein Zertifikat. Dafür bin ich nach Hannover zurückgekommen und bin wieder bei meinen Eltern eingezogen, mit 31. Es hat sich wie der Tiefpunkt meines Lebens angefühlt, aber es war die Startrampe für alles, was danach passiert ist. Das hatte ich auch gehofft, aber es hat sich lange Zeit nicht so angefühlt. Ich bin wieder in das Haus gezogen, in dem ich aufgewachsen bin. Ich hatte keine Freunde mehr vor Ort. In Berlin hatte ich im Prenzlauer Berg gewohnt. Ich war auf jede Party eingeladen, hatte ein super Netzwerk. Hier kannte ich wirklich niemanden mehr. Auf der Arbeit wurde ich null ernst genommen. Ich war die einzige Frau in einer 60-Mann-Entwicklungsabteilung…
Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich das erste Mal mit zum Lunch durfte. Niemand hat geglaubt, dass ich irgendetwas kann, hat verstanden, wer ich bin und was ich will – ich hatte Philosophie in Berlin studiert! Und eine Frau, die programmiert, hatten meine Kollegen noch nie gesehen. Es war für sie alles etwas schwierig zu verstehen. – Trotzdem war es eine privilegierte Situation – ansonsten hätte ich wieder unbezahlte Praktika machen müssen. Ich hatte zero Geld zurückgelegt. Und so war es eine Chance. Nebenbei – abends und an den Wochenenden – habe ich ein Zertifikat in Software-Engineering an einer Fernuni gemacht. – Vor Ort hatte ich ohnehin keine Kontakte. Ich habe nur gearbeitet und gelernt. Mit 33 habe ich dann gegründet, 2017. Drei Jahre nach meiner Entscheidung, dass ich in die Technik gehen und gründen will. Ich habe als Einzelkämpferin angefangen, Apps zu entwickeln. Ich hab meine Firma remote aufgebaut, mit Mitarbeitenden aus verschiedenen Ländern – und bin selbst auch viel gereist. Eine Woche nach Gründung meiner Firma bin ich nach Vietnam gezogen und habe ein halbes Jahr in Ho Chi Minh City gelebt. Das war auch mein Plan: Ich wollte gerne auswandern und nutzen, dass ich in einem schönen Klima günstiger leben kann, mit leckerem Essen, und deutsche Kunden bedienen. Aber: Ich hatte kurz zuvor meinen Mann kennengelernt, der mich dort dann besucht hat. Den habe ich dann so vermisst. Er hatte keinen Bock auf Fernbeziehung. Für ihn bin ich wieder nach Hannover zurückgekommen. Seitdem bin ich hier.
K: Du hast noch in weiteren Ländern gelebt, sprichst mehrere Sprachen, bist also total weltoffen und das ist ja wahrscheinlich auch sehr wichtig in Deinem Beruf.
M: In meinen Zwanzigern hatte ich auch nicht viel zu tun, außer zu studieren, zu reisen und Sprachen zu lernen. Das war superschön. Ich habe mein Studium genossen, muss ich sagen. Ich habe immer so viel Kohle verdient, dass ich gerade genug hatte, um rumzukommen. Aber ich habe weder gespart noch an meine Zukunft gedacht. Erst mit 30 habe ich mich gefragt, wie ich mal bequem Geld verdienen und einen Unterschied in der Welt machen kann. Wie kann ich eigentlich über diesen Abgrund rüberkommen? Wie das noch hinbekommen, nachdem ich die zehn Jahre zuvor auf die schönste Art und Weise verlebt hatte.
K: Du entwickelst Software für eigene Apps. Aber du schreibst auch für Firmen, programmierst deren Webseiten, entwickelst Apps für sie, als Dienstleistung?
M: Genau, hauptsächlich bin ich Dienstleisterin und entwickle mobile Apss für andere Firmen. Aber ich habe schon lange darüber nachgedacht, auch ein eigenes Produkt auf den Markt zu bringen. In dem Moment, wo Du das hast, kannst du aufhören, deine Arbeitszeit gegen Geld zu tauschen. Du musst nur einmal etwas bauen, was skalierbar ist, und kannst es dann so oft verkaufen, wie du möchtest. Bei einem Schuhgeschäft wäre es der Unterschied zwischen: Du reparierst Schuhe oder du verkaufst einen Schuh, den Du designt hast, mehrmals. Das Schöne bei Software ist, dass Du sie nicht mehrmals herstellen musst, sondern nur einmal herstellst und sie dann so oft verkaufen kannst, wie du willst. So ein Produkt haben wir jetzt in den letzten anderthalb Jahren entwickelt. Es ist eine App für Städte. Eine Stadt kann die App für einen bestimmten Preis einmal kaufen und bezahlt danach monatlich dafür, dass sie diese App weiter nutzt. Mit der App kann die Stadt an ihre Bürger Informationen geben, Umfragen schalten, einen Mängelmelder integrieren. Es hat anderthalb Jahre gedauert, sie zu entwickeln, die Designs zu machen etc. Seit August läuft sie probeweise in einer Stadt und hat jeden Tag rund 1000 Nutzer, mit denen wir reden, um die App zu verbessern. Diese Phase kostet Geld. Normalerweise suchst du dir Investoren auf Pitch-Veranstaltungen, die dir das Geld für die Entwicklung geben. Das ist nicht einfach und ich wollte nicht wieder von jemandem abhängig sein, nachdem ich mich gerade selbstständig gemacht hatte. - Deswegen habe ich meine Agentur gegründet und nebenbei überlegt, was für eine Produktpalette wir aufbauen können. Die App habe ich selbst finanziert, weil ich davor über Jahre mit der Agentur Geld verdienen und es in die Produktentwicklung stecken konnte.
K: Das leitet gut in die zweite Frage über: Fühlst du dich als Bossin?
M: Immer mal wieder und dann mal wieder nicht. Das ist etwas, was ich mich in letzter Zeit viel gefragt habe, weil wir die Rezession schon stark gefühlt haben und ich immer wieder überlege, was ich mache, wenn das alles nicht mehr klappt? Bewerbe ich mich nochmal irgendwo bei einem Unternehmen? Oder versuche ich auf Teufel-komm-raus, diese Firma am Laufen zu halten? Bin ich von meiner Essenz her Unternehmerin oder ist das einfach nur ein Teil von mir, den ich auch wieder abstellen könnte? Ich finde das schwierig zu beantworten, ich weiß das gar nicht. Aber ich weiß, dass ich meine Freiheit sehr liebe und es unglaublich schwer fände, sie aufzugeben. Und ich glaube, ich mache das, was ich mache, die meiste Zeit eigentlich ganz gut.
K: Das heißt aber, dass das eine Frage ist, die zumindest ab und zu aufploppt: Bin ich das eigentlich?
M: Ich finde das Wort Bossin schwierig, weil es für mich etwas mit Hierarchie zu tun hat. Es würde mir schwerfallen, anderen Leuten zu sagen, was sie machen sollen. Ich suche mir für meine Firma eher Leute aus, die eigenständig arbeiten und ähnliche Prinzipien haben wie ich. Ich leite sie an, um unsere Arbeitskräfte effektiv zu bündeln.
Ich würde eher sagen, dass ich Unternehmerin bin. At heart. Unternehmerin zu sein heißt, dass man bereit ist, ein Risiko einzugehen, ein kalkuliertes, kein dummes, um dann später Gewinn zu haben. Ich lebe mein ganzes Leben als Unternehmerin: Egal, ob ich mich entscheide, eine Wohnung zu kaufen, anstatt sie zu mieten, zu überlegen, wie ich den Gewinn maximiere und wie ich für meine und für die Zukunft meiner Familie sorge. Ich glaube, das ist schon tief in mir angelegt. In jedem Menschen eigentlich. Man muss es nur aufwecken. Ich glaube, dass jeder Freelancer, Selbständige oder Künstler diese Verantwortung kennt. Aber viele bleiben in dem Glauben haften: „Ich muss nur gut genug werden in dem, was ich tue und es schaffen, mich zu verkaufen“. Sie kommen selten an den Punkt, an dem sie überlegen, fürs Alter vorzusorgen oder zu investieren. Ich kenne sehr viele – vor allem Frauen Mitte 40 – die wenig vorgesorgt haben und alles etwas prekär angehen. Das finde ich schwierig und auch traurig, weil es oft supercoole Frauen sind. Aber wenn du Yoga-Lehrerin bist, ist es schwer, genug Kohle zu verdienen, dass du auch mal was zurücklegen kannst. Viele begeben sich dann in die finanzielle Abhängigkeit beispielsweise von einem Partner, von der ich es schön fände, wenn Frauen das nicht tun würden. Ich glaube, dass dieses Nicht-Bedenken der Situation im Alter keiner Naivität geschuldet ist, sondern dem Umstand, dass man einfach nicht dahinterkommt, dass dieses Zeit-gegen-Geld-tauschen wenig profitabel ist. Als Freelancer ist es superschwierig, genug Geld zu verdienen. Vielleicht geht es in der IT-Branche. Ansonsten bleibt es schwierig.
K: Welche Eigenschaften braucht es, um in deinem Bereich Bossin zu sein. Würdest du sagen, dass du dich in deinem beruflichen Bereich mehr anstrengen musstest als deine männlichen counterparts und gibt es ein gender bias in deinem Berufsfeld?
M: Es ist komplizierter mit dieser women-in-tech-Geschichte. Wenn du als Frau in einem Tech-Beruf präsent auf Bühnen bist etc. wie ich, dann hast du zunächst einen positiven Gender-Bias, weil du häufig die einzige Frau im Raum oder auf der Bühne bist. Du wirst für Konferenzen angefragt, Kunden und Network-Leute erinnern sich an dich. Auf Konferenzen gab es das oft: Um mich herum nur Männer in so typischen Entwickler-Outfits, und dann ist da eine Frau in einem helllila Blazer mit platinblonden Haaren. Ich war bekannt wie ein bunter Hund. Das hat mir auf jeden Fall geholfen.
Nach dem Abi hätte ich mir nicht zugetraut, Informatik zu studieren. Aber nachdem ich ein Philosophie-Studium abgeschlossen hatte und noch ein paar andere Sachen hinbekommen habe, war ich mir sicher, dass ich Tech kann, wenn ich es nur will. An den Punkt kommen ganz viele Frauen nicht – die meisten denken nicht über Tech nach. Eine Sache, die dagegen helfen kann, ist, mehr IT-Unterricht in der Schule anzubieten, sodass junge Frauen positive Erlebnisse damit haben und sagen können, okay, ich kann das, vielleicht könnte ich später auch Informatik studieren.
Männer tendieren häufig dazu, nicht immer natürlich, sich zu überschätzen und denken, sie sind ein Übergenie, nur weil sie irgendwie mal ein Spiel gehackt haben.
Es ist schwer über das Thema zu sprechen, ohne irgendwelche gender biases zu replizieren. Ich denke auch, dass nichts davon inhärent ist in irgendeinem Mann oder einer Frau, sondern das ist das, wie wir aufgewachsen sind.
K: Das wollte ich fragen.
M: Frauen trauen sich weder Unternehmertum noch Tech-Jobs nach der Schule zu, ganz häufig. Du müsstest sie entweder während der Schulzeit entsprechend bestärken, ihnen role models vorsetzen, oder du müsstest ihnen später Möglichkeiten zum Quereinstieg in diese Branche geben, um mehr Frauen in die Branche zu holen. Wir sind in Deutschland Schlusslicht. Es ist in anderen Ländern ganz anders. Das heißt, es hat was damit zu tun, wie Gesellschaft über Frauen und über diese Berufe denkt, was eine Gesellschaft vielleicht auch dafür tut, dass eine gender equity entsteht. Wenn du als Frau erstmal in dieser Branche bist, dann trauen dir die Leute auch was zu.
Aber diese Branche ist nicht auf Frauen eingestellt ist und das auch nicht, weil sie fast ausschließlich von Männern geformt wird. Das heißt, dass die paar Frauen, die es in der Tech-Branche gibt, sie oft spätestens dann verlassen, nachdem sie Kinder gekriegt haben. Weil die Tech-Branche sich nicht entsprechend auf sie einlässt.
K: Das heißt, es müssten mehr Frauen in die Tech-Branche, damit die Branche dann auf diese Lebensläufe reagiert?
M: Genau. Und das wäre auch supergut für die Produkte, die dabei entstehen, weil die bisher von Männern für Männer geschaffen sind.
Im Moment ist ja Thema, wie KI häufig Geschlechterverhältnisse repliziert, wenn du dir zum Beispiel von ChatGPT ein Bild machen lässt von einer Frau in irgendeinem Beruf. Du bekommst immer ein Bild von einer Frau, die „heiß“ aussieht. Das sind so Dinge, wo du halt merkst, okay, die Daten, auf die das trainiert ist, da wurde das nicht mitbedacht, dass diese Sexualisierung vielleicht gar nicht nötig ist.
Ich habe versucht, ein Foto zu erstellen, auf dem eine ältere Frau eine jüngere Frau durch den Dschungel führt. Das sollte eine Metapher für einen LinkedIn-Post sein, den ich machen wollte. Ich habe es eine halbe Stunde lang nicht hinbekommen. Die Jüngere hat immer die Ältere geführt. Das Beste, was ich hinbekommen habe, war, dass beide Rücken an Rücken standen. Als ich es mit einem Mann versucht habe, hat es funktioniert.
K: Wofür hast Du das Bild gebraucht?
M: Ich habe darüber geredet, wie wichtig es ist, einen älteren Mentor zu haben, um durch den Dschungel des Business-Lebens zu kommen. Ich wollte eine Frauen nehmen, why not? Ich rede schließlich über Frauen.
Aber es war nicht möglich, dieses Bild zu generieren, weil die KI ältere Frauen nicht mit Führung, Leadership oder survival skills verbindet. Wenn du an Crocodile Dundee denkst, denkst du offenbar immer an einen Mann. Das sind Kleinigkeiten, an denen man merkt, dass die Firma, die KI entwickelt, Frauen nicht mitdenkt. Das ist typisch für Tech-Produkte. Als zum Beispiel 2007 Apple Health rauskam, war es die Innovation: Plötzlich konntest du mit deinem Handy deine Gesundheit tracken und alles messen, wofür Du keinen Bluttest brauchst. Das Einzige, was du in Apple Health nicht messen konntest, war deine Periode. Was so ziemlich das Wichtigste für mehr als die Hälfte der Menschheit ist; Auch für Männer ist es ja relevant, ob und wann ihre Frau oder Freundin ihre Periode bekommt. - Es musste erst eine Frau eine App entwickeln, die die Periode trackt, unglaublich viele User kriegen und viel Geld damit verdienen, bevor Apple Health gesagt hat: Oh, das ist ja auch ein Markt. – Diese Kleinigkeiten formen unser digitales Leben. Und unser Leben wird immer digitaler und diese digitale Welt wird von Männern gemacht. Das muss sich ändern.
Von dem Geld, das in den letzten Jahren in Europa in Startups investiert wurde, ist nur ein einziges Prozent an weibliche Teams gegangen, zwölf Prozent an gemischte Teams und der Rest an komplett männliche Teams: 87 Prozent.
K: Warum?
M: In der Regel hängt das eng damit zusammen, dass wir nicht genug Frauen in Tech haben. Die meisten Investoren, die in Startups investieren wollen, investieren immer eher in das eigene Geschlecht. Und die meisten Investoren sind Männer.
Das, finde ich, müssen wir durchbrechen. Das können wir nicht allein durch Regeln im System, sondern einzelne Frauen müssen sich trauen, in diesen Bereich vorzugehen. Gleichzeitig muss man auch systemisch versuchen, das aufzubrechen.
K: Das ist jetzt eine sehr generelle Frage: Würdest du sagen, dass Frauen mehr wegschaffen als Männer? Dass Frauen härter arbeiten müssen als Männer?
M: Ich glaube, sie arbeiten härter als Männer. Und ich glaube auch, dass Männer es häufig hinbekommen, mit wenig Arbeit mehr Impact zu haben als Frauen. Indem sie manchmal Verantwortung einfach von sich weisen oder Dinge ignorieren, die wir nicht ignorieren. Wir lernen Höflichkeit und Verantwortungsbewusstsein, wir lernen von Anfang an, uns um andere zu kümmern. Das ist alles sehr plakativ, was ich jetzt sage, und es gilt nicht für jeden. Aber einer Frau fällt es schwerer, zum Beispiel eine E-Mail nicht zu beantworten als einem Mann. Ich übe das gerade in den letzten Monaten. Ich kriege unglaublich viele Anfragen für Vorträge, häufig unbezahlt, für irgendwelche women in power Events. Ich habe beschlossen, nur noch fünf unbezahlte Events im Jahr zu machen. Dieses Jahr habe ich angefangen, solche Anfragen einfach auch mal nicht zu beantworten. Dann werde ich oft zwei Wochen später nochmal angeschrieben: Du hast gar nicht auf unsere Mail geantwortet, wir würden dich so gerne als Sprecherin haben. Dann dachte ich wieder, okay, jetzt muss ich mir Zeit nehmen und erklären, warum ich das nicht möchte. – Ich glaube, viele Männer hätten die E-Mail einfach gelöscht und weitergeklickt. Als Frau fühlt man sich verantwortlich für diese Dinge, will höflich sein und sich erklären. Wenn man unhöflich ist, indem man etwas ablehnt, will man sagen, warum man das tut. Männer sagen eher: I don't give a fuck. Deswegen können sie sich auf die wirklich relevanten Sachen konzentrieren wie zum Beispiel sales erhöhen.
Das wiederum ist etwas, was Frauen total schwerfällt, weil sie ja niemanden auf den Geist gehen und cold calls machen wollen oder so. Und deswegen sehe ich sehr häufig, dass Männer effektiver arbeiten. Nicht, weil sie schlauer sind oder besser arbeiten, sondern weil sie weniger verantwortungsvoll arbeiten und sich weniger kümmern und deswegen auch kein Problem haben, irgendwen zu nerven, wenn sie etwas brauchen.
K: Müssten Männer dann umgekehrt mehr Verantwortung übernehmen lernen? Zum Beispiel als Kinder auch mit Puppen spielen, damit sie später, falls sie in einer Partnerschaft ein Kind haben, wie selbstverständlich die Sorgearbeit übernehmen?
M: Ja klar, das ist natürlich eine weitere Sache, dass Frauen zusätzlich zu ihrem Unternehmen die Care Arbeit übernehmen, wenn nicht für die Kinder, dann für ihre Eltern. Männliche Unternehmer tun das meistens nicht, das heißt, dass eher die weiblichen Unternehmerinnen die Doppelbelastung haben. Deswegen: Frauen arbeiten in der Tat mehr, nur schaffen damit nicht unbedingt mehr Wert für ihr Unternehmen. Und ich glaube, unsere Wirtschaft wäre eine bessere, wenn die Männer empathischer werden, höflicher, sich mehr bemühen, loyaler zu sein etc. All diese Dinge, die sonst eher Frauen zugeschrieben werden. Gleichzeitig müssen Frauen, glaube ich, auch lernen, ein bisschen weniger fucks zu give-en.
K: Kriegt ihr das hin, du und dein Partner: ihr habt auch Familie, also ein Kind, kriegt ihr das hin, dass es bei euch gerechter aufgeteilt ist?
M: Ich würde sagen, bei uns war es ungerecht, weil mein Mann das meiste übernommen hat. Aber wir haben gesagt, dass falls wir uns noch zum Kind entscheiden sollen, da sind wir uns gerade noch nicht sicher, dann wäre ich dran. Also dann wäre es gerechter.
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© 2025 Aya Fujioka, Kamila Kobierzyńska, Katrin Ribbe
Gestaltung: Bureau Sebastian Moock
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© 2025 Aya Fujioka, Kamila Kobierzyńska,
Katrin Ribbe
Gestaltung: Bureau Sebastian Moock