EN Roswitha von Frajer, owner of a shoe shop. Hanover, 2013 DE Roswitha von Frajer, Inhaberin eines Schuhgeschäfts. Hannover, 2013
EN Seyhan Öztürk, self-employed attorney-at-law. Hanover, 2016 DE Seyhan Öztürk, selbstständige Rechtsanwältin. Hannover, 2016
EN Ric Deselaers, owner of a bicycle shop. Hanover, 2016 DE Ric Deselaers, Besitzer*in eines Fahrradladens. Hannover, 2016
EN Heike Pascheit, owner of a steel-processing company. Hanover, 2015 DE Heike Pascheit, Inhaberin eines stahlverarbeitenden Betriebs. Hannover, 2015
EN Mira Jago, owner of a mobile app development company. Hanover, 2025 DE Mira Jago, Inhaberin einer App-Entwicklungsagentur. Hannover, 2025
EN Constanze Böhm, fine artist. Hanover, 2024 DE Constanze Böhm, Bildende Künstlerin. Hannover, 2024
EN Christine Reichert, co-owner of a hair salon. Hanover, 2025 DE Christine Reichert, Mitinhaberin eines Friseurgeschäfts. Hannover, 2025
EN Christel Bechter, owner of a doll clinic and a shop. Hanover, 2025 DE Christel Bechter, Inhaberin einer Puppenwerkstatt. Hannover, 2025
aus Hannover arbeitet als Künstlerin, Fotografin und Dozentin. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und werden im In- und Ausland ausgestellt. Ihr Langzeit-Reenactment-Projekt Aufstand aus der Küche forscht zu Genderidentität und Arbeitstrukturen. Zentral in ihrer künstlerischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Macht.
Für b o s s | working women portraitiert sie Bossinnen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichen Berufen und mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen in Hannover.
Website Instagram
K.R.: Wie und wann hast Du Dich dazu entschieden, b o s s zu werden? Wie kam es dazu und welche Entscheidungen hast Du getroffen? Wie war Dein Werdegang?
C.R.: Ich bin Friseurmeisterin, 35 Jahre alt und seit 17 Jahren im Beruf. Mein Business habe ich seit sieben Jahren. Für mich war immer klar, dass, wenn ich in dem Beruf bleibe, die Selbständigkeit die einzige Option ist, um mich frei zu fühlen. Sonst hätte ich etwas anderes gemacht. Ich wollte mich selbständig machen, bevor ich 30 bin.
Und tatsächlich: Je älter ich wurde, je mehr Fachwissen ich hatte, umso schlechter kam ich damit klar, dass man mir Dinge ansagte, die ich dann durchführen musste, dass ich mich unterordnen musste. Als Angestellte konnte ich fachlich zwar frei agieren, aber es waren ganz einfache Dinge, die mich störten, zum Beispiel, dass ich fragen musste, ob ich früher gehen kann, weil ich so viele Überstunden hatte. Ich wollte meine Arbeitszeiten so planen, wie ich das eben wollte. Außerdem wollte ich mehr Geld verdienen.
Von meinen Eltern wurde meiner Schwester und mir mitgegeben, dass wir auf unserem Lebensweg unabhängig sein sollen vom männlichen Geschlecht und unser Ding durchziehen. In dieser Hinsicht haben unsere Eltern uns sehr unterstützt. Meine Schwester, die vier Jahre älter ist als ich, war mir immer einen Schritt voraus. An ihr habe ich mich orientiert. Sie hat sich als erste von uns zweien selbständig gemacht. Das hat mich gepusht. Wir haben uns gegenseitig gepusht und tun das immer noch.
Dass ich das Friseurhandwerk lernen würde, war mir nicht immer klar. Eigentlich wollte ich Maskenbildnerin werden und bei Film und Fernsehen arbeiten. Damals war die Friseurausbildung Voraussetzung dafür, Maskenbildnerin zu werden. Nach der Ausbildung habe ich ein Praktikum am Theater in Ulm gemacht. Aus dem Friseurhandwerk war ich gewohnt, selbständig zu arbeiten: Meine Kunden zu beraten, mit ihnen ein Ziel zu besprechen und das zu erarbeiten. Niemand pfuschte mir dazwischen. Im Maskenbild musste ich plötzlich umsetzen, was von mir verlangt wurde: Was die Chefmaskenbildnerin ansagte oder was das Kostümbild verlangte. Damit kam ich nicht klar. Mir wurde klar, dass das doch nichts für mich ist.
Im Alter von 21 Jahren habe ich dann direkt meinen Meister gemacht. Meine Eltern haben immer gesagt, dass ich, wenn ich ein Handwerk ausübe, die höchste Ausbildungsstufe erreichen sollte. Das war eben der Meister. Den habe ich gemacht. – Danach hatte ich im Alter von 23 Jahren eine kleine Midlife-Crisis. Ich wusste nicht genau, wohin der Weg führt. Ich hatte alles erreicht – bis auf die Selbständigkeit. Es hat dann noch fünf Jahre gedauert, ich musste mir ja nach und nach einen eigenen Kundenstamm aufbauen. Im Alter von 28 habe konnte ich mein Angestelltendasein an den Nagel hängen.
K.R.: Du hast Dich dann mit einer Kollegin zusammen selbständig gemacht und ihr habt noch immer gemeinsam ein Friseurgeschäft …
C.R.: Genau. Wir sind sehr unterschiedlich, ergänzen uns aber. Wir können uns immer aufeinander verlassen. Ob es gut ist, sich als Team selbständig zu machen, ist typabhängig. Im Team muss man seine eigenen Wünsche etwas zurückstellen, damit man auf demselben Pfad bleibt. Wenn man da Hauruck-mäßig seine Meinung durchbringen möchte, kann es zu Stress kommen. Es hat alles Vor- und Nachteile.
So kann ich in den Urlaub fahren, ohne etwas mit meinem Geschäft zu tun zu haben. Wäre ich alleinige Bossin, müsste ich doch mal E-Mails checken und erreichbar sein. Andererseits hätte ich dafür die die alleinige Entscheidungsmacht.
K.R.: Ist es ein Unterschied, ob sich ein Mann als Friseur oder eine Frau als Friseurin selbständig macht?
C.R.: Wenn ein Mann sich als Friseur selbstständig macht, ist es anerkannter. Frauen müssen für die Selbständigkeit immer noch mehr tun, sie müssen härter arbeiten. Bei manchen männlichen Friseuren ist es eher ein Selbstläufer, weil sie sich besser verkaufen können. Da ist das Handwerk manchmal gar nicht so wichtig. Insofern würde ich behaupten, dass es durchaus einen Unterschied gibt.
Wir Frauen überzeugen eher mit unserem Können. Ich selbst bin zwar auch eine mitunter laute, präsente Person und mache gerne mal einen Spaß, aber ich bin keine Schnackerin. Alles, was ich sage, hat ein Hand und Fuß. Die männlichen Kollegen sind tendenziell Showmen. Da kann der Haarschnitt auch schon mal durchschnittlich sein, wird aber verkauft als bester Haarschnitt zwischen Harz und Heide: Und die Kundin ist begeistert.
Wir weiblichen Friseurinnen sind überzeugter von uns und müssen unsere Leistung nicht so laut anpreisen. Andererseits zweifeln wir auch mehr an uns, so mein Gefühl. Männer verkaufen sich besser und pushen sich gegenseitig. Wir Frauen stellen uns manchmal kleiner dar, als wir sind.
Bei uns Frauen könnte es generell untereinander mehr Unterstützung geben.
Aber ich liebe meinen Job. Das Schöne ist, dass man sofort Feedback bekommt. Ich sehe das, was ich mit meinen Händen kreiere. Viele Kunden kenne ich schon seit Jahren und mir ist es wichtig, ein gutes Verhältnis zu ihnen zu pflegen. Manchmal bekommt man viel erzählt, da muss man sich etwas abgrenzen. Manchmal ist man eine Art Seelenmülleimer – der möchte auch nicht immer sein; Allerdings ist man genau diese neutrale Person für die Kundschaft. Ich finde das auch schön: Bei vielen Menschen und in ihren Familien spiele ich auf eine Art eine Rolle in ihrem Leben. Ich erfahre viel und erlebe manchmal einschneidende Prozesse im Leben oder besondere Lebensphasen der Kunden richtiggehend mit. Manchmal unterstütze ich sie sogar bei einer wichtigen Entscheidung. Meistens ist es ein Austausch auf Augenhöhe. Das erweitert meinen Horizont, ich lerne dazu.
K.R.: Fühlst du Dich als Bossin?
C.R.: Als wir zwei Angestellte hatten, habe ich mich mehr wie eine Bossin gefühlt, jetzt fühlt es sich eher so an, als seien wir zwei Einzelunternehmerinnen. – Wie fühlt man sich als Bossin? Wie sollte man sich fühlen? Ich bin auf alle Fälle stolz, dass ich es seit mittlerweile sieben Jahren so schaffe. Aber ich bilde mir nichts aufs Boss-Sein ein oder gehe mit erhobener Nase durch die Stadt. Ich brauche keine Bestätigung von außen, dass ich die Geschäftsinhaberin von XYZ bin. Manche müssen so etwas ständig kommunizieren. Manchmal mache ich das zugegebenermaßen auch, weil ich mich ja auch freue, dass ich dieses Geschäft habe. … Irgendwie denke ich schon, dass ich Chefin bin… Manche Menschen strahlen das aus und manche nicht und ich denke, ich strahle das aus.
Ich würde aber sagen, dass ich in die Rolle reinwachsen musste. Wenn ich mich frage, inwiefern mich die vergangenen sieben Jahre verändert haben, finde ich, dass ich selbstbewusster geworden bin. Ich habe beruflich viel mit Männern zu tun. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich meine Meinung vertreten muss. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht nicht unbedingt belächelt wurde, aber manchmal kamen Außendienstler zu uns ins Geschäft nach dem Motto „Ich bin hier der große Hengst – guckt mich an! – und ich zeige den kleinen Friseurinnen mal, was hier Sache ist.“ Heute lasse ich solches Verhalten nicht mehr so an mich ran, so eine Art von Gehabe lässt mich kalt.
K.R.: Wie viele Tage in der Woche arbeitest Du? Wie arbeitest Du?
C.R.: Mittlerweile arbeite ich an vier Tagen in der Woche. Dafür sind es sehr lange Arbeitstage, sodass ich die fehlenden Stunden aus dem fünften Tag kompensieren kann. So haben meine Co-Chefin und ich zwei Tage – plus den Sonntag – frei. Entweder habe ich Montag und Samstag frei, dann bin ich von Dienstag bis Freitag komplett im Geschäft. In der darauffolgenden Woche habe ich dann am Mittwoch und Donnerstag frei und bin an den restlichen Tagen im Geschäft: Montag, Dienstag, Freitag, Samstag. Mit diesem Modell fahren wir beide sehr gut. Wenn wir da sind, sind wir da. Dann sind wir im Geschäft anwesend und lösen Probleme. Wenn wir nicht da sind, sind wir nicht da.
So kann ich mir meine Zeit recht frei einteilen kann. Auf der anderen Seite auch nicht, weil mir die Flexibilität wie beispielsweise im Homeoffice fehlt. Für meine Arbeit muss ich immer präsent im Geschäft sein – das Friseurhandwerk ist schließlich eine körpernahe Dienstleistung.
Ein wichtiges Argument für die Selbständigkeit war für mich, dass ich im Angestelltenverhältnis jeden Samstag arbeiten musste. Nach einem Stadtbummel standen meine Eltern manchmal samstags mit meiner Schwester vor dem Geschäft, in dem ich gearbeitet habe, und warteten darauf, dass ich Schluss habe; Es hat mich so genervt, dass ich auf viele Dinge verzichten musste, weil ich samstags gearbeitet habe. Heute arbeite ich nur noch jeden zweiten Samstag. Ich habe mehr freie Zeit und durch das Boss-Sein verdiene ich mittlerweile auch ein bisschen mehr Geld. So kann ich voll meine Hobbys ausleben: Tanzen ist mein Ausgleich, das mache ich, seit ich sechs bin, ich mache Wanderritte oder wandere in Südtirol. Es hat immer etwas mit Natur oder mit Musik zu tun. Bei den Wanderritten bin ich auf dem Pferd, habe keinen Handyempfang und kann einfach ich selbst sein, ohne Schminke, ohne gestylte Haare. Das ist das Kontrastprogramm zu dem, was ich beruflich mache.
Zum Socializing muss ich mich aktuell eher zwingen. Auf der Arbeit bin ich jeden Tag mit so vielen Menschen in Kontakt, dass ich mich privat oft eher zurückziehe. Ich bin sehr empathisch und sensibel und nach einer Arbeitswoche sagt mir mein Nervensystem, dass ich eine Pause brauche. Die sozialen Begegnungen auf der Arbeit nehmen mich sehr in Anspruch. Ich mag es zwar, es kostet aber auch viel Kraft.
Ob das Boss-Sein gut vereinbar ist mit Familienplanung? Die Selbstständigkeit hemmt mich gedanklich tatsächlich, auch weil ich eine One-Woman-Show bin. Wenn man einen Partner hat, muss es der richtige sein, er muss auch Lust auf Familie haben – ich könnte keine zwei Jahre zu Hause bleiben. Er müsste für meine Arbeitszeiten und das Drumherum Verständnis haben. – Da fehlt auch die Unterstützung von Seiten der Politik. Auf eine Familiengründung oder aufs Kinderkriegen muss man sich ja finanziell vorbereiten.
Meine Nichten sind mein ein und alles, ohnehin ist meine Schwester meine person number one in meinem Leben. Sie steht mit Rat und Tat an meiner Seite und wir sind allein aufgrund der Selbständigkeit in regem Austausch. Dass sie zwei Mädchen bekommen hat, freut mich sehr. In dieser Hinsicht ist mein Kinder-Akku gefüllt. Ich selber brauche keine Kinder, um ein glücklicherer und zufriedenerer Mensch zu sein. Das wäre sowieso der falsche Beweggrund.
K.R.: Und generell: schaffen Frauen mehr weg als Männer?
C.R.: Ich habe generell das Gefühl, dass die Entwicklung für Frauen gerade wieder rückläufig ist: Dass Frauen wieder mehr zu Hause bleiben und der Mann Vollzeit arbeiten geht. Bei meiner Schwester, die selbstständig ist und eine eigene Praxis hat, ist es so, dass sie von Anfang an gesagt hat, dass, wenn sie Kinder bekommen, sie sich das gleichberechtigt in der Partnerschaft, also 50-50, teilen. Das ist selten. Allgemein ist die gesellschaftliche Entwicklung für Frauen wieder rückläufig.
Wir sehen es als selbstverständlich an, dass wir entscheiden können, was wir machen, ob wir arbeiten, ob wir in die Selbstständigkeit gehen dürfen. Dafür sind die Generationen vor uns auf die Straße gegangen. Das hat mir meine Mutter eingebläut, dass das nicht selbstverständlich ist, das war ihr immer ein großes Anliegen. Meine Oma musste ihren Mann noch fragen, ob sie arbeiten gehen darf.
Wenn ich Männer kennenlerne, sage ich immer ehrlich und direkt meine Meinung – es gefällt vielen nicht, dass ich mir nicht auf der Nase rumtanzen lasse. Ich brauche zwar schon einen starken Partner an meiner Seite, der mir auch Paroli bieten kann, an den ich mich auch anlehnen kann, bei dem ich mich fallen lassen kann, aber es soll ja auf Augenhöhe passieren. Ich glaube, ich bin vielen einfach zu stark. Viele Männer brauchen eine Frau, die zu ihnen hochschaut; Vielleicht macht es ihnen auch Angst oder sie sind neidisch darauf, dass ich ein eigenes Business habe.
EN Roswitha von Frajer, owner of a shoe shop.
Hanover, 2013 DE Roswitha von Frajer, Inhaberin eines Schuhgeschäfts. Hannover, 2013
EN Seyhan Öztürk, self-employed attorney-at-law. Hanover, 2016 DE Seyhan Öztürk, selbstständige Rechtsanwältin. Hannover, 2016
EN Ric Deselaers, owner of a bicycle shop. Hanover, 2016 DE Ric Deselaers, Besitzer*in eines Fahrradladens. Hannover, 2016
EN Heike Pascheit, owner of a steel-processing company. Hanover, 2015 DE Heike Pascheit, Inhaberin eines stahlverarbeitenden Betriebs. Hannover, 2015
EN Mira Jago, owner of a mobile app development company. Hanover, 2025 DE Mira Jago, Inhaberin einer App-Entwicklungsagentur. Hannover, 2025
EN Constanze Böhm, fine artist. Hanover, 2024 DE Constanze Böhm, Bildende Künstlerin. Hannover, 2024
EN Christine Reichert, co-owner of a hair salon.
Hanover, 2025 DE Christine Reichert, Mitinhaberin eines Friseurgeschäfts. Hannover, 2025
EN Christel Bechter, owner of a doll clinic and a shop. Hanover, 2025 DE Christel Bechter, Inhaberin einer Puppenwerkstatt. Hannover, 2025
aus Hannover arbeitet als Künstlerin, Fotografin und Dozentin. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und werden im In- und Ausland ausgestellt. Ihr Langzeit-Reenactment-Projekt Aufstand aus der Küche forscht zu Genderidentität und Arbeitstrukturen. Zentral in ihrer künstlerischen Arbeit ist die Auseinandersetzung mit Macht.
Für b o s s | working women portraitiert sie Bossinnen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichen Berufen und mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen in Hannover.
Website Instagram
K.R.: Wie und wann hast Du Dich dazu entschieden, b o s s zu werden? Wie kam es dazu und welche Entscheidungen hast Du getroffen? Wie war Dein Werdegang?
C.R.: Ich bin Friseurmeisterin, 35 Jahre alt und seit 17 Jahren im Beruf. Mein Business habe ich seit sieben Jahren. Für mich war immer klar, dass, wenn ich in dem Beruf bleibe, die Selbständigkeit die einzige Option ist, um mich frei zu fühlen. Sonst hätte ich etwas anderes gemacht. Ich wollte mich selbständig machen, bevor ich 30 bin.
Und tatsächlich: Je älter ich wurde, je mehr Fachwissen ich hatte, umso schlechter kam ich damit klar, dass man mir Dinge ansagte, die ich dann durchführen musste, dass ich mich unterordnen musste. Als Angestellte konnte ich fachlich zwar frei agieren, aber es waren ganz einfache Dinge, die mich störten, zum Beispiel, dass ich fragen musste, ob ich früher gehen kann, weil ich so viele Überstunden hatte. Ich wollte meine Arbeitszeiten so planen, wie ich das eben wollte. Außerdem wollte ich mehr Geld verdienen.
Von meinen Eltern wurde meiner Schwester und mir mitgegeben, dass wir auf unserem Lebensweg unabhängig sein sollen vom männlichen Geschlecht und unser Ding durchziehen. In dieser Hinsicht haben unsere Eltern uns sehr unterstützt. Meine Schwester, die vier Jahre älter ist als ich, war mir immer einen Schritt voraus. An ihr habe ich mich orientiert. Sie hat sich als erste von uns zweien selbständig gemacht. Das hat mich gepusht. Wir haben uns gegenseitig gepusht und tun das immer noch.
Dass ich das Friseurhandwerk lernen würde, war mir nicht immer klar. Eigentlich wollte ich Maskenbildnerin werden und bei Film und Fernsehen arbeiten. Damals war die Friseurausbildung Voraussetzung dafür, Maskenbildnerin zu werden. Nach der Ausbildung habe ich ein Praktikum am Theater in Ulm gemacht. Aus dem Friseurhandwerk war ich gewohnt, selbständig zu arbeiten: Meine Kunden zu beraten, mit ihnen ein Ziel zu besprechen und das zu erarbeiten. Niemand pfuschte mir dazwischen. Im Maskenbild musste ich plötzlich umsetzen, was von mir verlangt wurde: Was die Chefmaskenbildnerin ansagte oder was das Kostümbild verlangte. Damit kam ich nicht klar. Mir wurde klar, dass das doch nichts für mich ist.
Im Alter von 21 Jahren habe ich dann direkt meinen Meister gemacht. Meine Eltern haben immer gesagt, dass ich, wenn ich ein Handwerk ausübe, die höchste Ausbildungsstufe erreichen sollte. Das war eben der Meister. Den habe ich gemacht. – Danach hatte ich im Alter von 23 Jahren eine kleine Midlife-Crisis. Ich wusste nicht genau, wohin der Weg führt. Ich hatte alles erreicht – bis auf die Selbständigkeit. Es hat dann noch fünf Jahre gedauert, ich musste mir ja nach und nach einen eigenen Kundenstamm aufbauen. Im Alter von 28 habe konnte ich mein Angestelltendasein an den Nagel hängen.
K.R.: Du hast Dich dann mit einer Kollegin zusammen selbständig gemacht und ihr habt noch immer gemeinsam ein Friseurgeschäft …
C.R.: Genau. Wir sind sehr unterschiedlich, ergänzen uns aber. Wir können uns immer aufeinander verlassen. Ob es gut ist, sich als Team selbständig zu machen, ist typabhängig. Im Team muss man seine eigenen Wünsche etwas zurückstellen, damit man auf demselben Pfad bleibt. Wenn man da Hauruck-mäßig seine Meinung durchbringen möchte, kann es zu Stress kommen. Es hat alles Vor- und Nachteile.
So kann ich in den Urlaub fahren, ohne etwas mit meinem Geschäft zu tun zu haben. Wäre ich alleinige Bossin, müsste ich doch mal E-Mails checken und erreichbar sein. Andererseits hätte ich dafür die die alleinige Entscheidungsmacht.
K.R.: Ist es ein Unterschied, ob sich ein Mann als Friseur oder eine Frau als Friseurin selbständig macht?
C.R.: Wenn ein Mann sich als Friseur selbstständig macht, ist es anerkannter. Frauen müssen für die Selbständigkeit immer noch mehr tun, sie müssen härter arbeiten. Bei manchen männlichen Friseuren ist es eher ein Selbstläufer, weil sie sich besser verkaufen können. Da ist das Handwerk manchmal gar nicht so wichtig. Insofern würde ich behaupten, dass es durchaus einen Unterschied gibt.
Wir Frauen überzeugen eher mit unserem Können. Ich selbst bin zwar auch eine mitunter laute, präsente Person und mache gerne mal einen Spaß, aber ich bin keine Schnackerin. Alles, was ich sage, hat ein Hand und Fuß. Die männlichen Kollegen sind tendenziell Showmen. Da kann der Haarschnitt auch schon mal durchschnittlich sein, wird aber verkauft als bester Haarschnitt zwischen Harz und Heide: Und die Kundin ist begeistert.
Wir weiblichen Friseurinnen sind überzeugter von uns und müssen unsere Leistung nicht so laut anpreisen. Andererseits zweifeln wir auch mehr an uns, so mein Gefühl. Männer verkaufen sich besser und pushen sich gegenseitig. Wir Frauen stellen uns manchmal kleiner dar, als wir sind.
Bei uns Frauen könnte es generell untereinander mehr Unterstützung geben.
Aber ich liebe meinen Job. Das Schöne ist, dass man sofort Feedback bekommt. Ich sehe das, was ich mit meinen Händen kreiere. Viele Kunden kenne ich schon seit Jahren und mir ist es wichtig, ein gutes Verhältnis zu ihnen zu pflegen. Manchmal bekommt man viel erzählt, da muss man sich etwas abgrenzen. Manchmal ist man eine Art Seelenmülleimer – der möchte auch nicht immer sein; Allerdings ist man genau diese neutrale Person für die Kundschaft. Ich finde das auch schön: Bei vielen Menschen und in ihren Familien spiele ich auf eine Art eine Rolle in ihrem Leben. Ich erfahre viel und erlebe manchmal einschneidende Prozesse im Leben oder besondere Lebensphasen der Kunden richtiggehend mit. Manchmal unterstütze ich sie sogar bei einer wichtigen Entscheidung. Meistens ist es ein Austausch auf Augenhöhe. Das erweitert meinen Horizont, ich lerne dazu.
K.R.: Fühlst du Dich als Bossin?
C.R.: Als wir zwei Angestellte hatten, habe ich mich mehr wie eine Bossin gefühlt, jetzt fühlt es sich eher so an, als seien wir zwei Einzelunternehmerinnen. – Wie fühlt man sich als Bossin? Wie sollte man sich fühlen? Ich bin auf alle Fälle stolz, dass ich es seit mittlerweile sieben Jahren so schaffe. Aber ich bilde mir nichts aufs Boss-Sein ein oder gehe mit erhobener Nase durch die Stadt. Ich brauche keine Bestätigung von außen, dass ich die Geschäftsinhaberin von XYZ bin. Manche müssen so etwas ständig kommunizieren. Manchmal mache ich das zugegebenermaßen auch, weil ich mich ja auch freue, dass ich dieses Geschäft habe. … Irgendwie denke ich schon, dass ich Chefin bin… Manche Menschen strahlen das aus und manche nicht und ich denke, ich strahle das aus.
Ich würde aber sagen, dass ich in die Rolle reinwachsen musste. Wenn ich mich frage, inwiefern mich die vergangenen sieben Jahre verändert haben, finde ich, dass ich selbstbewusster geworden bin. Ich habe beruflich viel mit Männern zu tun. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich meine Meinung vertreten muss. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht nicht unbedingt belächelt wurde, aber manchmal kamen Außendienstler zu uns ins Geschäft nach dem Motto „Ich bin hier der große Hengst – guckt mich an! – und ich zeige den kleinen Friseurinnen mal, was hier Sache ist.“ Heute lasse ich solches Verhalten nicht mehr so an mich ran, so eine Art von Gehabe lässt mich kalt.
K.R.: Wie viele Tage in der Woche arbeitest Du? Wie arbeitest Du?
C.R.: Mittlerweile arbeite ich an vier Tagen in der Woche. Dafür sind es sehr lange Arbeitstage, sodass ich die fehlenden Stunden aus dem fünften Tag kompensieren kann. So haben meine Co-Chefin und ich zwei Tage – plus den Sonntag – frei. Entweder habe ich Montag und Samstag frei, dann bin ich von Dienstag bis Freitag komplett im Geschäft. In der darauffolgenden Woche habe ich dann am Mittwoch und Donnerstag frei und bin an den restlichen Tagen im Geschäft: Montag, Dienstag, Freitag, Samstag. Mit diesem Modell fahren wir beide sehr gut. Wenn wir da sind, sind wir da. Dann sind wir im Geschäft anwesend und lösen Probleme. Wenn wir nicht da sind, sind wir nicht da.
So kann ich mir meine Zeit recht frei einteilen kann. Auf der anderen Seite auch nicht, weil mir die Flexibilität wie beispielsweise im Homeoffice fehlt. Für meine Arbeit muss ich immer präsent im Geschäft sein – das Friseurhandwerk ist schließlich eine körpernahe Dienstleistung.
Ein wichtiges Argument für die Selbständigkeit war für mich, dass ich im Angestelltenverhältnis jeden Samstag arbeiten musste. Nach einem Stadtbummel standen meine Eltern manchmal samstags mit meiner Schwester vor dem Geschäft, in dem ich gearbeitet habe, und warteten darauf, dass ich Schluss habe; Es hat mich so genervt, dass ich auf viele Dinge verzichten musste, weil ich samstags gearbeitet habe. Heute arbeite ich nur noch jeden zweiten Samstag. Ich habe mehr freie Zeit und durch das Boss-Sein verdiene ich mittlerweile auch ein bisschen mehr Geld. So kann ich voll meine Hobbys ausleben: Tanzen ist mein Ausgleich, das mache ich, seit ich sechs bin, ich mache Wanderritte oder wandere in Südtirol. Es hat immer etwas mit Natur oder mit Musik zu tun. Bei den Wanderritten bin ich auf dem Pferd, habe keinen Handyempfang und kann einfach ich selbst sein, ohne Schminke, ohne gestylte Haare. Das ist das Kontrastprogramm zu dem, was ich beruflich mache.
Zum Socializing muss ich mich aktuell eher zwingen. Auf der Arbeit bin ich jeden Tag mit so vielen Menschen in Kontakt, dass ich mich privat oft eher zurückziehe. Ich bin sehr empathisch und sensibel und nach einer Arbeitswoche sagt mir mein Nervensystem, dass ich eine Pause brauche. Die sozialen Begegnungen auf der Arbeit nehmen mich sehr in Anspruch. Ich mag es zwar, es kostet aber auch viel Kraft.
Ob das Boss-Sein gut vereinbar ist mit Familienplanung? Die Selbstständigkeit hemmt mich gedanklich tatsächlich, auch weil ich eine One-Woman-Show bin. Wenn man einen Partner hat, muss es der richtige sein, er muss auch Lust auf Familie haben – ich könnte keine zwei Jahre zu Hause bleiben. Er müsste für meine Arbeitszeiten und das Drumherum Verständnis haben. – Da fehlt auch die Unterstützung von Seiten der Politik. Auf eine Familiengründung oder aufs Kinderkriegen muss man sich ja finanziell vorbereiten.
Meine Nichten sind mein ein und alles, ohnehin ist meine Schwester meine person number one in meinem Leben. Sie steht mit Rat und Tat an meiner Seite und wir sind allein aufgrund der Selbständigkeit in regem Austausch. Dass sie zwei Mädchen bekommen hat, freut mich sehr. In dieser Hinsicht ist mein Kinder-Akku gefüllt. Ich selber brauche keine Kinder, um ein glücklicherer und zufriedenerer Mensch zu sein. Das wäre sowieso der falsche Beweggrund.
K.R.: Und generell: schaffen Frauen mehr weg als Männer?
C.R.: Ich habe generell das Gefühl, dass die Entwicklung für Frauen gerade wieder rückläufig ist: Dass Frauen wieder mehr zu Hause bleiben und der Mann Vollzeit arbeiten geht. Bei meiner Schwester, die selbstständig ist und eine eigene Praxis hat, ist es so, dass sie von Anfang an gesagt hat, dass, wenn sie Kinder bekommen, sie sich das gleichberechtigt in der Partnerschaft, also 50-50, teilen. Das ist selten. Allgemein ist die gesellschaftliche Entwicklung für Frauen wieder rückläufig.
Wir sehen es als selbstverständlich an, dass wir entscheiden können, was wir machen, ob wir arbeiten, ob wir in die Selbstständigkeit gehen dürfen. Dafür sind die Generationen vor uns auf die Straße gegangen. Das hat mir meine Mutter eingebläut, dass das nicht selbstverständlich ist, das war ihr immer ein großes Anliegen. Meine Oma musste ihren Mann noch fragen, ob sie arbeiten gehen darf.
Wenn ich Männer kennenlerne, sage ich immer ehrlich und direkt meine Meinung – es gefällt vielen nicht, dass ich mir nicht auf der Nase rumtanzen lasse. Ich brauche zwar schon einen starken Partner an meiner Seite, der mir auch Paroli bieten kann, an den ich mich auch anlehnen kann, bei dem ich mich fallen lassen kann, aber es soll ja auf Augenhöhe passieren. Ich glaube, ich bin vielen einfach zu stark. Viele Männer brauchen eine Frau, die zu ihnen hochschaut; Vielleicht macht es ihnen auch Angst oder sie sind neidisch darauf, dass ich ein eigenes Business habe.
Projektträgerin:
Veranstalterin:
Förder:innen:
© 2025 Aya Fujioka, Kamila Kobierzyńska, Katrin Ribbe
Gestaltung: Bureau Sebastian Moock
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© 2025 Aya Fujioka, Kamila Kobierzyńska,
Katrin Ribbe
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